Mathias Tretter: Dilettanz auf dem Vulkan

Der Wortakrobat begeistert anlässlich der Verleihung des Evonik-Adler-Ehrenpreises mit Kabarett auf höchstem Niveau.

Mathias Tretter: Dilettanz auf dem Vulkan
Foto: Dirk Jochmann

Bei seinem Auftritt im ausverkauften Kasino von Evonik erlebten 350 Gäste Kabarett auf höchstem Niveau — ein würdiger Abend zur Verleihung des Evonik-Adler Ehrenpreises. Mathias Tretter ist einer der Top-Kabarettisten, bei denen es lohnt, seine Couch zu verlassen. Allerdings muss man hellwach sein. Sein Stakkato an wohlgesetzten Worten erfordert höchste Aufmerksamkeit. Der studierte Germanist und Anglist schleudert seinem Publikum die Fremdwörter nur so um die Ohren — aktuell, polemisch, klug, ohne erhobenen Zeigefinger und ohne zu predigen, aber unterhaltsam und komisch.

Sein brandneues Programm heißt PoP. Gemeint ist eine „Partei ohne Partei“, die sein an Leben und Drogen gescheiterter Kumpel Ansgar gründen will. PoP steht stellvertretend aber auch für Populismus, Polemik oder postdemokratische Gesellschaft. Fünfzehn Minuten Ruhm sagte Andy Warhol einst jedem Menschen voraus.

Laut Mathias Tretter ist daraus längst Realität, sind aus fünfzehn Minuten 140 Twitter-Zeichen geworden, bemisst sich Ruhm in Klicks und kann es fast jeder schaffen, wohin er will — sogar auf den Präsidentenstuhl im Weißen Haus. „Man kann auch ohne Hirn wie Trump und ohne Partei wie Macron Präsident werden“, führt der Komiker den Beweis. Willkommen im Zeitalter des Amateurs, der getrieben ist vom Hass auf Profis und Journalisten, oder — wie es Tretter nennt — zur Dilettanz auf dem Vulkan. Für komplexe Gedanken habe niemand mehr Zeit, eine immer kompliziertere Welt schreit nach immer einfacheren Lösungen.

Der Kabarettist vermisst die Allgemeinbildung. „Einst hatten wir den Bildungsbürger, der sich dann über den Wutbürger zum Hetzbürger entwickelt hat.“ Und: „Wenn Rechte schreiben, führt das nicht zu gescheiter Rechtschreibung“, resümiert er und wird zynisch. „Ich bin für Hetze im Netz. In der Zeit kann man keine Asylantenheime anstecken.“

„Die Visionäre sind heute nicht in der Politik, sondern an der Macht“, meint Tretter. Die Herrscher unserer Zeit sind für ihn die Chefs von Google, Facebook, Amazon und Co. Unsagbar schräg und komisch sind seine Verschwörungstheorien. So zeichnet der Mittvierziger das Bild einer abstrusen IS-Weltherrschaft und einer digitalisierten Welt, in der das Frühstück aus dem 3-D-Drucker kommt und die Internetnachricht auf den Duschkopf geschickt wird. „Spätestens, wenn das Küchengerät auf dich zukommt und dich fragt, ob du ihm helfen kannst, musst du dir Gedanken machen.“

Mitten aus dem Leben seien Dialoge mit seinem siebenjährigen Sohn: „Papa, was ist eine App?“ Antwort: „Jemand, der Probleme für dich löst, die du vorher nicht hattest.“ Da lobe er die Zeit seiner Jugend, als es nur die Schlümpfe und Donald Duck gab. „Die einen waren blau, der andere trug nie eine Hose — Montessori und Pestalozzi in einem. Tretters Beobachtungsgabe führt zu hinreißend komischen Erkenntnissen. Noch nie hatten so viele ein Handy, und noch nie waren so wenige erreichbar.

Tretter blickt auf eine rasante Entwicklung als politischer Kabarettist zurück. Einen seiner frühen Auftritte hatte er in Krefeld als Mitglied des Ersten Deutschen Zwangsensembles im Verein mit Claus von Wagner (Die Anstalt) und Philipp Weber. Auch beide Ex-Partner sind erfolgreich unterwegs und alle drei waren schon als Solisten Gast bei Veranstaltungen von Evonik-Adler, deren Verantwortliche ein feines Gespür für talentierte Kabarettisten haben.

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