Kresch: Eine Boygroup gibt den Hamlet

In „Parese“ findet René Linke originelle Ansätze für Shakespeare.

Krefeld. Minutenlanger Applaus in der Fabrik Heeder: Stehende Ovationen zollt das Publikum der kreativen Umsetzung von William Shakespeares "Hamlet" mit dem irritierenden Titel "Parese", zu Deutsch etwa "Erschlaffung".

Das klingt so gar nicht nach Energie, Können und Präsenz. Dennoch vereinen die Schauspieler genau das in sich. Beim Kooperationsprojekt von Kresch-Theater und Marienschule geht es um die Liebe, genauer: um die Unmöglichkeit der Liebe in Zeiten der Erschlaffung.

In vier Jahren ist dies nun schon das dritte Shakespeare-Stück, das die Beteiligten zusammen zur Aufführung bringen. Eigentlich spielen die sechs Akteure alle eine Hauptrolle: Leonie Vester und Gini Ostfeld verkörpern die vielen Gesichter der Ophelia, Moritz Rüge, Cyprian Zajt, Leon Frisch und Norman Schnell spielen den Hamlet in all seinen Facetten, liebend, zaudernd, zerrissen, schmachtend, schwächelnd.

Die Jungs könnten locker jede Boygroup in den Schatten stellen. Sie agieren mit Sprechchören oder alleine, manchmal klingen sie wie mehrere Radiosender zusammen. Ophelia ist blondes Gift und rassig brünett, charmant lockend, giftig und bitter. Mit Zuckerbrot und Peitsche treibt sie Hamlet an, doch der kommt nicht in Gang.

Dass Liebe und Trägheit nicht zusammen passen, zeigt "Parese" auf mehreren Ebenen. In der Inszenierung jongliert René Linke gekonnt Tanz, Gesang, Mimik, Pantomime und Sprache, synchron, verzerrt, gegeneinander. Mit vollem Körpereinsatz setzen die Schauspieler die Leidenschaft, das Annähern und Abdriften von Liebenden um, karikieren in kurzweiligen Sequenzen den modernen Menschen in all seiner Zerrissenheit. Das Bühnenbild ist reduziert, Schwarz dominiert. Aus einem Berg von Tischen wird eine lange Flucht mit viel Tiefe, dann eine Mauer. Kurz vor dem Finale noch einmal das Drama im Zeitraffer dargestellt. Gänsehaut, Stille. Und dann langer Applaus.

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