Textilmuseum Ist das eine Nazi-Sammlung?

Ein Sammler, der mit NS-Politiker Göring Kontakt hatte, hat im Krieg Trachten an das Textilmuseum verkauft. Experten gehen auf Spurensuche.

Krefeld. Was im Krimi die Leiche ist, ist für die Kunsthistorikerin Uta-Christiane Bergemann eine mit Goldfäden verzierte Weste aus dem 19. Jahrhundert. Sie untersucht sie mit weißen Samthandschuhen — nach Spuren, nach eingetragenen Zahlen oder Buchstaben, die Hinweise darauf geben könnten, wie und unter welchen Umständen eine knapp 1000 Trachten und Trachtenschmuck umfassende Sammlung 1943 in den Besitz der Textilingenieurschule in Krefeld gekommen ist.

„Das ist Detektivarbeit“, sagt Bergemann. Nach wie vor sei das für Museen ein „brisantes Thema“ - wie Museumsleiterin Annette Schieck es nennt. Als „Provenienzforschung“ wird das wissenschaftliche Feld im Fachjargon bezeichnet. Zum Hintergrund: 44 Nationen haben sich 1998 darauf verständigt, die Suche nach durch Nationalsozialisten beschlagnahmte Kunst zu intensivieren und rechtmäßige Besitzer ausfindig zu machen, um mit ihnen „gerechte und faire“ Lösungen zu finden.

Uta-Christiane Bergemann ist bei ihrer Arbeit einem bis dato so gut wie unbekannten Künstler auf die Spur gekommen — dem Maler Paul Prött. Er hat die Sammlung nach alten Unterlagen des Museums 1943 — in dem Jahr einer verheerenden Krefelder Bombennacht, bei der zahlreiche andere Sammlungen vernichtet wurden — an die Textilingenieurschule für 120 000 Reichsmark verkauft. Das entspricht heute mehreren Millionen Euro. Zum Vergleich: Die Textilingenieurschule habe in dem Jahr gerade mal 36 000 Reichsmark bekommen. Prött, der lange Zeit in Köln gelebt hat, habe viele Stadtansichten gezeichnet, und sei „bettelarm“ gewesen. Genauso habe die Textilschule nicht die Mittel gehabt. Woher kam also das Geld?

Nachdem die Nachforschungen Bergemanns öffentlich gemacht wurden, meldete sich ein Buchautor, der bei Recherchen zu seinen Vorfahren ebenfalls auf Prött gestoßen war. Von ihm erfuhr Bergemann, dass der Maler bei Reichsminister Hermann Göring „ein und aus gegangen“ sei. Von dem Autor erhielt Bergemann auch einen Kontakt zu Nachfahren der Stieftochter Prötts, die heute in den USA leben. Die Familie habe nichts über den eigentlichen Sammlungsverkauf gewusst. „Neben Hitler war Göring der größte Kunstliebhaber der Nazis“, sagt Bergemann. Es sei üblich gewesen, dass ein Einkäufer aus der Kunstszene beauftragt wurde, um „günstig“ jüdische Sammlungen zu erwerben. Im schlimmsten Fall könnten Teile der Sammlung von Sammelstellen stammen, wo der Besitz der jüdischen Bevölkerung zwischengelagert wurde. Die Kunsthistorikerin geht bei vielen Teilen aber davon aus, dass der Maler Prött viele Stücke in verschiedenen Ländern erworben hat.

Dafür sprechen beispielsweise auch Zeichnungen, die der Künstler Prött im Balkan angefertigt haben muss. Die unterschiedlichen Stücke der Sammlung stammen aus Süddeutschland, Österreich, dem Balkan oder Asien. Einen lederner „Ranzen“, eine Art Ziergürtel, der im Alpenraum getragen wurde, datiert Bergemann auf Mitte des 18. Jahrhunderts. Ein außergewöhnlicher Fund, da die Anfangszeit der Trachten, die üblicherweise zu Volksfesten getragen wurden, mit der Mitte des 19. Jahrhunderts angegeben wird.

Die Forschung an den Stücken und in Archiven der Republik ist für Bergemann an eine Art Schlusspunkt angelangt. Und doch bleiben viele Fragen um den Erwerb der Sammlung noch im Dunkeln. Woher stammen die Mittel? Wo und wie hat Prött die Stücke erworben? Hat der Maler als eine Art Strohmann gar kein Geld bekommen? Was geschah mit dem Erlös?

Eine bundesweit einzigartige Tagung am 8. September im Textilmuseum soll einen Austausch über die Mechanismen des Kunsthandels in der NS-Zeit bieten. Dabei werden Experten aus Deutschland und den Niederlanden ihre Forschungen darstellen. Interessierte können kostenlos an der Tagung teilnehmen. Anmeldung telefonisch 94 69 450 oder per E-Mail an: [email protected]

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