Freie Musik mit rauem Charme

60 Jahre Jazzkeller: Das Trio Big Satan um den New Yorker Saxofonisten Tim Berne gratuliert beim Festkonzert mit viel sperriger Musik.

Freie Musik mit rauem Charme
Foto: Dirk Jochmann

Das war also das zweite Festkonzert des Jazzklubs Krefeld zum 60-jährigen Bestehen des Jazzkellers. Big Satan, das Trio mit dem vermeintlich großspurigen, aber eigentlich nur ironisch gemeintem Namen, brachte drei alte Bekannte in den Keller — und reichlich sperrige Musik.

Die hörerfahrenen Kellergänger ließen die beiden New Yorker Tim Berne und Tom Rainey sowie ihren französischen Kollegen Marc Ducret trotzdem nicht ohne Zugabe von der Bühne. Scheu vor der Avantgarde und freien Spielformen? Die haben sich in sechs Jahrzehnten Jazzkeller schon vor langer Zeit verflüchtigt.

Berne am Altsaxofon, Ducret an der E-Gitarre und Rainey am Schlagzeug vermeiden ziemlich viel, um ja nicht in gängiges Fahrwasser zu geraten. Durchgehende Rhythmik, Akkordschemata, nachvollziehbare Melodien, eine Hierarchie zwischen Solist und Begleitung — all das gibt es überwiegend nicht, taucht höchstens fragmentarisch auf. Das nötigt den Spielern viel Disziplin und gerade für die Vermeidung von Klischees auch viel formales Bewusstsein ab.

Freie Musik wie der zeitgenössische Free Jazz dieses Trios bedeutet eben nicht, dass da einfach drauf losgespielt wird. Alle Stücke beginnen mit notierten Passagen. Das sind dann schon in gewisser Weise Themen, teilweise agieren Berne und Ducret da auch unisono oder in einer verqueren Mehrstimmigkeit miteinander. Manchmal schreiten aber auch zwei Themen parallel zueinander, die sich zwar nicht funktionsharmonisch, dafür aber im Gestus oder atmosphärisch ergänzen. Minimalistische Wiederholungen von einzelnen Phrasen tauchen öfter bei Berne auf. Während Ducret stets neue melodische Haken schlägt.

Auch Rainey am Schlagzeug ist ständig in Bewegung. Bei ihm gleicht am wenigsten ein Takt dem anderen. Nur ganz selten einmal schiebt er gerade Viertel zu einem durchgehenden Groove zusammen. Aber kaum hat man sich dran gewöhnt, brodelt er schon wieder unruhig vor sich hin. Dabei ist sein Spiel nicht arrhythmisch, sondern drängt beständig vorwärts, ist aber eben weit entfernt von untergeordneter Begleitung.

Berne agiert mit scharfem Ton in den Höhen. In den mittleren Registern setzt er oft aufrauende Überblaseffekte ein. Ducrets Sound changiert zwischen rockiger Härte und gezupfter Weichheit. Um seine bemerkenswerte Klangvielfalt zu erreichen, setzt er unterschiedliche Plektren und weitere Gegenstände zum Anreißen der Saiten ein. Oder er zupft sie mit den Fingern. Manchmal schlägt er aber auch rhythmisch mit der flachen rechten Hand auf die Saiten. Rainey benutzt Schlegel, Stöcke, Besen, variiert so seinen Klang. Drei sehr individuelle Stimmen verbinden sich bei Big Satan zu einem komplexen Ganzen — das nur seinen eigenen Gesetzen zu folgen scheint.

Die Stücke sind überwiegend Eigenkompositionen, stammen meist von Berne und Ducret. Mehrfach sagt Berne dabei „another ballad“ an, was im Publikum mit Schmunzeln quittiert wird. Zwar gibt es getragenere Kompositionen, wechseln leise und sehr laute Stücke oder Passagen einander ab. Aber Balladen, womit im Jazz normalerweise ruhige Stücke mit lyrischem Ausdruck bezeichnet werden, die hatte Big Satan nicht zu bieten. Das war raue, urbane, sperrige Musik, der man sich öffnen musste, um etwas von ihr zu haben. Das Jazzkeller-Publikum kam auf seine Kosten.

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