Carmina Burana-Premiere: Eine Aufführung mit Suchtpotenzial

Die Aufführung im Stadttheater ist eindrucksvoll und wird bejubelt.

Carmina Burana-Premiere: Eine Aufführung mit Suchtpotenzial
Foto: Matthias Stutte

Krefeld. Mit dem Ruf „O Fortuna“ beginnt Carl Orffs berühmtes Musikwerk „Carmina Burana“. Darin wird die Launenhaftigkeit der Glücksgöttin betont, die ihre Gunst sehr wählerisch verteilt. Über dem Krefelder Theater hat Fortuna allerdings zum Saisonbeginn ihr Füllhorn ausgeschüttet. Insgesamt 200 Mitwirkende aus Chor, Orchester und Ballett gestalteten die Premiere als eindrucksvolles Gesamtkunstwerk, was mit stehenden Ovationen gefeiert wurde.

Die Texte, die Orff 1935 zu seiner mitreißend expressiven Musik inspirierten, reichen weit ins Mittelalter zurück. Die lateinischen und mittelhochdeutschen Verse aus der Benediktbeurer Handschrift befassen sich mit zeitlosen Themen. Die Wechselhaftigkeit des Glücks, aber auch Liebe und Lebenslust werden auf vielseitige Weise heraufbeschworen. Orff komponierte daraus eine monumentale dreiteilige Kantate, für die er sich auch eine szenische Umsetzung vorstellte.

In Krefeld hat Ballettdirektor Robert North das in seine bewährten Hände genommen und führt als feinsinniger Geschichtenerzähler alle Fäden perfekt zusammen. Die Bühne (Udo Hesse), deren Tiefe man so noch nicht erlebt hat, wird dabei zum Schauplatz mit drei Ebenen.

Ganz hinten ist der Chor aufgestellt, der sich — ergänzt durch Extrachor und Kinderchor (Chorakademie Kempen) — als gewaltiger und dabei sehr differenziert agierender Klangkörper erweist (Einstudierung Maria Benyumova).

Die mittlere Zone gehört den Niederrheinischen Sinfonikern, die unter der Leitung von Alexander Steinitz das ideale Bindeglied zwischen Gesang und Tanz bilden. Die von starker Rhythmik und statischer Architektonik gekennzeichnete Musik wird in der fein ausbalancierten Interpretation zu einem von Anfang bis Ende faszinierenden Hörerlebnis.

Drittes Element ist das auf dem abgedeckten Orchestergraben und damit ganz dicht am Publikum agierende zwanzigköpfige Ballettensemble. Perfekt verschmelzen diese drei Aktionsebenen zu einem einzigen Ort eines wunderbaren Hör- und Seherlebnisses. Genauso mühelos fügt North im Tanz die drei inhaltlich voneinander unabhängigen Teile als Abfolge erzählter Miniaturen zusammen.

Zentrale Figuren im Tanz sind ein Junge und ein Mädchen, deren Geschichte sich wie ein roter Faden durch den Abend zieht. Leuchtend Rot ist auch das Kleid des Mädchens, das zwischen den sonst geschmackvoll in zartem Blau und Braun gehaltenen Kostümen (Luisa Spinatelli) als Blickfang hervorsticht.

Karine Andrei-Sutter begeistert als Mädchen nicht nur mit ihrer großartigen tänzerischen Leistung, sondern auch mit ihrem anmutigen Charme. Ein glanzvolles Comeback nach ihrer Babypause.

Alessandro Borghesani ist in dem mal verträumter, mal leidenschaftlicher gestalteten Pas de deux ein ebenbürtiger Partner. Humor und Deftigkeit bilden in den Wirtshausszenen einen unterhaltsamen Kontrast.

Als zum Verzehr gedachter Schwan legt Paolo Franco ein zauberhaftes Solo hin. Der hohen klagenden Stimme des Schwans verleiht Tenor Frank Valentin sein unverwechselbares Timbre. Weitere gesangliche Glanzpunkte setzen Rafael Bruck (Bariton) und Sophie Witte (Sopran). Fast überirdisch klingt ihr gegen Ende angestimmtes „Dulcissime“.

Wenn im Schlusschor erneut Fortuna beschworen wird, mag man gar nicht glauben, dass siebzig Minuten vergangen und das Stück beendet ist. Ein Abend mit Suchtpotenzial.

Weitere Aufführungen: 6., 30. September; 10. Oktober; 1. November; 31. Dezember; 18. Januar; 13., 18. Februar; Karten unter Tel. 02151-805-125.

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