Geschichte Bilder belegen blutigen Rathaussturm im Jahr 1923

Stadtarchivleiter Olaf Richter hat in Paris Fotos von den Kämpfen während des Separatisten-Aufstandes in Krefeld entdeckt.

Rechts ein Ausschnitt aus der New York Times vom 2. Dezember 1923. Das Bild links zeigt das Zimmer im Rathaus Krefeld, in dem Polizist Schneider angeschossen wurde.

Rechts ein Ausschnitt aus der New York Times vom 2. Dezember 1923. Das Bild links zeigt das Zimmer im Rathaus Krefeld, in dem Polizist Schneider angeschossen wurde.

Foto: Stadtarchiv Krefeld

Krefeld. „Nein, die Stadtgeschichte muss nicht umgeschrieben werden“, beruhigt Olaf Richter, Leiter des Stadtarchivs. Er bezieht sich damit auf neue Belege, die nachweisen, dass der Separatistenaufstand vom Oktober 1923 keineswegs eine tragikomische Episode war, sondern blutiger Ernst. Richter hat in Frankreich eine Quelle erschlossen, die nachweist, dass ein bisher vorliegendes Farbfoto aus dem Stadtarchiv tatsächlich das Büro des damaligen Oberbürgermeister Johannes Johansen im Erdgeschoss des Rathauses zeigt.

Neben einer großen Blutlache zeigt das Bild des französischen Fotografen Frédéric Gadmer eine staubbedeckte Polizeimütze und einen Dienstrevolver nach dem Sturm der Separatisten auf das Rathaus in der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober 1923. Blut, Mütze und Waffe gehörten dem aus Weimar stammenden Polizeioberkommissar August Schneider (55), der in dieser Nacht von den Separatisten angeschossen wurde.

Schwer verwundet sollte er in einem Rettungswagen in ein Hospital gebracht werden. Unterwegs wurde Schneider durch weitere Schüsse so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag.

Ein weiterer Polizist, der Polizei-Betriebsassistent Hermann Josef Lenssen, starb in dieser Nacht im Rathaus im Alter von 35 Jahren durch einen Kopfschuss. An beide Polizeibeamte erinnern heute die gleichnamigen Straßen nahe dem Rathaus. Auf Seiten der Aufständischen wurden sechs Tote und viele Verletzte gezählt. Wie die „Krefelder Zeitung“ vom 24. Oktober berichtet, wurde auf der Breiten Straße auch ein zehnjähriger Junge von einer verirrten Kugel getroffen und getötet. Das betreffende Zeitungsexemplar kostete damals übrigens 90 Millionen Mark.

Olaf Richter, Leiter des Stadtarchivs, zur Bedeutung der Separatisten, die 14 Tage über Krefeld geherrscht haben.

Ziel der Separatisten in den Zeiten der Inflation und des Hungers der Nachkriegszeit war die Errichtung einer von Preußen unabhängigen Rheinischen Republik. Zeitweise verfügten sie über 1500 Kämpfer und Sympathisanten. Viele von ihnen kamen allerdings aus Nachbargemeinden und anderen Städten wie Duisburg, Aachen, Mönchengladbach und Mülheim. Nach Ansicht von Olaf Richter verhielt sich die Mehrheit der Krefelder passiv gegenüber den Aufständischen. „Sie hatten kaum Rückhalt in der Bevölkerung.“

Im Rathaus hatten sich 200 Stadt- und Polizeibeamte verschanzt. Auch die umliegenden Straßen waren verbarrikadiert. Die Verteidiger hatten, so erzählt Richter, 19 000 Schuss Munition gebunkert. Als am nächsten Morgen nur noch 2000 Patronen von dem Vorrat übrig waren, beschloss die Besatzung unter Oberbürgermeister Johannes Johansen die Kapitulation. Es schloss sich eine 14-tägige Herrschaft der Separatisten an, die geprägt war von willkürlichen Beschlagnahmen, Anarchie und Gewalt.

Die belgische Besatzungsmacht, die sich in den stürmischen Tagen auffällig zurückhaltend verhielt, machte ihm letztlich ein Ende. Im Stadtrat wurde der Aufstand von allen damaligen Fraktionen einmütig verurteilt. Auf weiteren Fotos, die die schweren Kämpfe um das Rathaus dokumentieren, stieß Richter durch einen Hinweis auf Bildbände, die im „Archiv des Planeten“ im Albert-Kahn-Museum bei Paris gelagert werden.

Der jüdische Bankier Kahn, damals einer der reichsten Männer Europas, hatte Fotografen in viele Teile der Welt geschickt, damit sie die unterschiedlichen Gesellschaften im Sinne der Völkerverständigung ablichten. Frédéric Gadmer war in den Oktobertagen offenbar in Krefeld vor Ort und fotografierte in Autochrome, der ersten Platten-Farbtechnik. Die meisten dieser 23 Aufnahmen waren bisher in Krefeld unbekannt.

Einer weiteren Spur will Olaf Richter nachgehen. In der Stadtgeschichte (Band 5, Seite 68) werden Filmaufnahmen erwähnt, in denen der Rathaussturm nachgestellt worden sei. Da das Kahn-Archiv auch auf 180 Kilometer Filmmaterial im 35-Millimeter-Format verfügt, ist die Annahme nahe liegend, dass das französische Team auch in Krefeld gedreht, bzw. nachgedreht hat. Dies wären dann die ersten bewegten Bilder vom Separatistenaufstand.

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