Analyse: Wie weit darf Brandschutz gehen?

Die Kultur hatte zuletzt arge Probleme mit der Bauaufsicht. Doch die möchte nicht der Buhmann sein.

Krefeld. Wenn sie die Artikel lesen und die Reaktionen hören, müssen sie sich ein wenig vorkommen wie die grauen Herren. Dann sieht es manchmal so aus, als säßen sie in ihrem Turm im Stadthaus, um aus reiner Bösartigkeit das Krefelder Kulturleben zu zerstören.

Haus der Seidenkultur dicht, Werkhaus größtenteils geschlossen, Flachsmarkt und Jazzfestival mit Auflagen bombardiert — wer Buhmann sein möchte, muss derzeit bei der Bauaufsicht arbeiten.

Doch deren Leiter Udo Rodig und sein Dezernent Thomas Visser möchten sich mit dem Image der eiskalten Bürokraten nicht abfinden. „Wenn ich per Ordnungsverfügung eine Einrichtung schließen muss, macht mir mein Job an dieser Stelle keinen Spaß“, sagt Rodig.

Dennoch ist er überzeugt, das Richtige zu tun, wenn er wegen mangelnden Brandschutzes eingreift. Rechtlich ist das ohnehin so: In vielen Punkten lassen ihm die entsprechenden Gesetze keinen Spielraum. „Irgendwann müssen wir aktiv werden“, sagt der Diplom-Ingenieur. „Einen Mindeststandard an Sicherheit verlangen wir einfach.“

Das gilt zum Beispiel, wenn ein zweiter Rettungsweg fehlt oder der vorhandene Rettungsweg zu lang ist: „Bei einem Brand kann man nicht mehr als 35 Meter schaffen, ohne vom Rauchgas ohnmächtig zu werden. Das sind Erfahrungswerte aus 50 Jahren.“

Bei einer Übung mit Bühnennebel hat Rodig das am eigenen Leib erfahren: „Man konnte die Hand nicht vor Augen sehen. Keiner hätte es rechtzeitig aus dem Gebäude raus geschafft.“

Solche Erfahrungen prägen — doch sie machen ihn nicht blind gegenüber den Interessen der Bürger. „Wir versuchen immer, eine einvernehmliche Lösung zu finden“, betont Rodig, der auch lange als freier Architekt gearbeitet hat.

So sei beim Haus der Seidenkultur zwischen der ersten Kontaktaufnahme und der Schließung fast ein Jahr vergangen, in dem kaum eine geforderte Änderung ausgeführt wurde. „Wir müssen bereit sein, Kompromisse zu machen. Aber das ist immer eine Gratwanderung.“

Denn verantwortlich „für Sicherheit und Leben“ ist letztlich auch die Aufsichtsbehörde. „Das tragen wir auf unseren Schultern“, sagt Rodig. Auch die Betreiber könnten eigentlich froh sein, dass die Behörde einschreitet: „Sie sind mit verantwortlich, wenn etwas passiert.“

Dieses Wenn, das zum Glück eher ein Falls mit minimaler Wahrscheinlichkeit ist, bildet den Kern der Sicherheitsdebatte. Führt sich das Streben nach maximaler Risikovermeidung nicht spätestens dann ad absurdum, wenn ein Veranstaltungsort so sicher werden soll, dass Menschen ihn nicht mehr nutzen können?

Rodig und sein Chef haben dazu eine klare Position: „Wenn uns oder unseren Kindern tatsächlich etwas passieren würde, hätten wir viele Fragen“, sagt Thomas Visser. „Und auch die Medien und die Politik würden diese Fragen stellen.“

Wie unangenehm das werden kann, sieht man in Duisburg, wo Oberbürgermeister Adolf Sauerland noch 15 Monate nach dem Loveparade-Unglück mit 21 Toten massiven Anfeindungen ausgesetzt ist.

Die Technoparty, die überdies nach jetzigem Ermittlungsstand miserabel vorbereitet war, ist zwar nur bedingt vergleichbar mit einem kleinen Museum oder einem Jazzfestival. Doch letztlich gelten die gleichen Regeln, wie Rodig am Beispiel der Burg Linn erläutert: „Das ist ein reines Rechenverfahren. Wenn es auf dem Innenhof brennt, schaffen es keine 1000 Leute über die schmale Brücke nach draußen.“

Die Gesetze, die das regeln, sind übrigens nicht neu, das Land NRW hat nach dem Gau bei der Loveparade lediglich ihre konsequente Anwendung eingefordert. Rodig hält das auch für sinnvoll: „Alle Bürger und Besucher unserer Stadt sollen gefahrlos die öffentlichen Gebäude und Veranstaltungen besuchen können. Wir wollen keine Verletzten oder Toten zu verantworten haben“

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