Krefeld Kritik an einer Zwei-Klassen-Berufswelt

Manja Wiesner ist die neue Geschäftsführerin der Gewerkschaft NGG. Einer ihrer Schwerpunkte ist der Kampf gegen die Ungleichbehandlung von Mann und Frau.

Krefeld: Kritik an einer Zwei-Klassen-Berufswelt
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Krefeld. Es ist vier Uhr früh, irgendwo in Krefeld. Lisa Schmitz (Name von der Redaktion geändert) trägt die nächsten Backbleche zum riesigen Ofen im hinteren Bereich der Bäckereifiliale. Das Gerät bollert und bollert. Hunderte Brötchen und anderes Gebäck hat die junge Frau schon gebacken. Um drei Uhr hat sie ihren Dienst angetreten. Viel Zeit ist nicht mehr, bis sie die Ladentür aufschließen, alles gebacken und die Auslage gefüllt sein muss. Lisa Schmitz ist Bäckereifachverkäuferin und bekommt für ihren Vollzeitjob rund 2000 Euro brutto. Würde die Mittdreißigerin, die an jedem Arbeitstag rund um die Uhr Brötchen und Kuchenstücke backt, wie ein Bäcker bezahlt, bekäme sie am Monatsende mehr als 300 Euro brutto mehr auf ihr Konto.

Das ist nur ein Beispiel für die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Beruf und der Grund für die „Initiative Lohngerechtigkeit“ der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Sie gehört zu den aktuellen Schwerpunkten der Arbeit von Manja Wiesner, der neuen Geschäftsführerin der Gewerkschaft für die Region Krefeld-Neuss, zu der auch der Kreis Viersen und Mönchengladbach gehören. Im WZ-Interview erklärt die 39-Jährige, was die Organisation meint, wenn sie davon spricht, dass „Jobs zweiter Klasse für Frauen reserviert sind“.

Frau Wiesner, wie stellt sich die Zwei-Klassen-Berufswelt aus Ihrer Sicht dar?

Manja Wiesner: Das Themenfeld ist sehr groß, wir haben zum Beispiel Leiharbeit, Werkverträge, Dauerpraktika oder eben auch die Ungleichbehandlung der Geschlechter. Hier ist es tatsächlich so, dass schon bei der Einstellung oft die Eingruppierung von Männern und Frauen unterschiedlich behandelt wird. Oft ist das historisch gewachsen. Es ging beispielsweise früher um den Unterschied zwischen körperlich leichten und schweren Tätigkeiten, die als typisch weiblich oder typisch männlich galten. Allerdings hat sich die eigentliche Arbeit längst verändert.

Könnten Sie dafür ein Beispiel nennen?

Wiesner: Da sind die Unterschiede, die zwischen Bäckern und Bäckereifachverkäuferinnen gemacht werden, ein gutes Beispiel. Die Ausbildung ist ähnlich — in beiden Fällen drei Jahre. Körperlich und psychisch anstrengend sind auch beide Berufe. Aber bei der Bezahlung sind Frauen schlechter gestellt, wenn wir jetzt mal die ganz wenigen Fälle außen vor lassen, bei denen Frauen den Bäckerberuf wählen oder Männer sich hinter die Theke stellen. Und das gilt für große Ketten genauso wie für kleine Bäckereien in unserer Region, aber natürlich landesweit.

Wo schlägt sich eine Ungleichbehandlung noch nieder?

Wiesner: Wir sind hier in einer Region mit vielen Süßwarenbetrieben. Da wissen wir, dass in vielen Betrieben bundesweit die Frauen tendenziell schlechter gestellt sind. Gerade im Bereich der Un- und Angelernten verdienen Frauen oft 300 bis 400 Euro weniger, weil sie anderes als die Männer in der untersten Tarifgruppe eingruppiert sind.

Obwohl Frauen und Männer das Gleiche tun?

Wiesner: Ja, körperlich müssen sie längst das Gleiche leisten. Früher gab es viele mechanische, sich wiederholende Tätigkeiten. Die daraus resultierenden körperlichen Anstrengungen sind heute weniger geworden. Dafür sind die Jobs komplexer, die Maschinen von Computern gesteuert. Die Anforderungen und Belastungen bei der Führung solcher Anlagen sind gleich. Der Tarifvertrag stammt aber von 1987 und berücksichtigt diese Veränderungen in der Arbeitswelt nicht. Dadurch sind Frauen häufig noch diskriminiert. Selbstverständlich gibt es nicht nur negative Beispiele. Das hängt immer von den betrieblichen Akteuren ab. Arbeitgeber und Betriebsräte sind gleichermaßen gefragt.

Und was können Sie als Gewerkschaft für die Betroffenen tun?

Wiesner: Das geht oft nur in kleinen Schritten. Wir haben vor vier Jahren bereits einen Spätschichtzuschlag erzielen können. Vor 30 Jahren war ja noch keine Rede von Bäckereien, die bis 23 Uhr geöffnet sind. Nun haben wir schon eine kleine Annäherung an die aktuellen Verhältnisse. Grundsätzlich gilt: Wir müssen die betrieblichen Entscheider erst einmal in die Lage bringen, dass sie das Problem erkennen. Manchmal passiert es auch ohne böse Absicht. Einfach, weil es verkrustete Strukturen gibt, die sich seit Jahren halten. Wir wollen die Betriebsräte im Rahmen der „Initiative Lohngerechtigkeit“ entsprechend schulen.

Gehen wir mal einen Schritt weiter — nach der Arbeit kommt die Rente: Wie sehen die Konsequenzen aus?

Wiesner: Es gibt Beispiele von Menschen in diesen Arbeitsfeldern, die 45 Jahre Vollzeit, also 38,5 Stunden, gearbeitet haben, und ihre Rente beträgt 770 Euro. Das ist Grundsicherung. Das ist nichts, von dem man leben kann, sein Rentendasein bestreiten kann. Da muss man sogar staatliche Hilfe beantragen.

Und da haben wir noch nicht über Teilzeitbeschäftigte gesprochen . . .

Wiesner: Nein. Was das angeht, leben wir immer noch in Zeiten, in denen das Modell des Mannes als Ernährer herrscht. Gerade Bäckereien bieten häufig nur Teilzeit- oder 450-Euro-Jobs an. Es gibt wenig Männer, die sich auf so etwas bewerben. Nehmen wir das Gaststättengewerbe, die Gastronomie: Da werden die Köche, meist Männer, fest angestellt und Vollzeit beschäftigt, während im Servicebereich die Frauen dominieren und in Teilzeit arbeiten. Deutschlandweite Statistiken belegen, dass viele Teilzeitbeschäftigte gerne aufstocken würden, aber es nicht geht.

Für diejenigen, für die das Modell volles Gehalt plus Zubrot gilt, heißt es mit Blick auf die Rente: Es darf nichts schiefgehen, oder?

Wiesner: Scheidung, Pflegefälle, es gibt viel, was passieren kann. Dann wird es im Alter oft noch enger. Zur Rentenfrage werden wir deshalb unter anderem zur Bundestagswahl gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund eine Kampagne starten, die darauf abzielt, langfristig das Rentenniveau so zu halten, dass es für ein Leben im Alter reicht. Und wir müssen über die Tarifverträge am Stundenlohn drehen. Wir brauchen gute Löhne und tarifliche Erhöhungen, um für die Rente einzahlen zu können.

In Ihrem Metier kommt aber hinzu, dass es nicht für alle Tarifverträge gibt.

Wiesner: Ja, viele Bäckereien sind nicht in den Innungen, viele Restaurants nicht im Hotel- und Gaststättenverband, Dehoga, und viele Industriebetriebe nicht in Arbeitgeberverbänden. 2015 waren 71 Prozent der Betriebe bundesweit nicht tarifgebunden. Das ist viel. Für uns heißt das: Wir werben bei den Beschäftigten dafür, Mitglied in der Gewerkschaft zu werden, damit wir für sie über Tarifverträge verhandeln können. Je mehr Gewerkschaftsmitglieder in Betrieben sind, umso leichter können wir Arbeitgeber zu Verhandlungen auffordern.

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