Verbrechen Keine Chance gegen Sprengstoff

Die Kreditinstitute wissen nicht mehr, wie sie ihre Geldautomaten vor den brachialen Methoden der Diebe schützen sollen.

Verbrechen: Keine Chance gegen Sprengstoff
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Über 100 mal haben sie NRW zugeschlagen. Zuletzt auch in Uerdingen Anfang Dezember. Gegen halb drei in der Nacht gab es einen ohrenbetäubenden Lärm, Zeugen sahen noch einen dunklen Audi-Kombi über die Kurfürstenstraße wegbrausen. Weg waren sie, spurlos verschwunden, wie fast immer. Jetzt wurde in einer Bochumer Garage zumindest belastendes Material gefunden. Fast zeitgleich warnt das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt (LKA) vor einer Eskalation der Methoden in den benachbarten Niederlanden. Dort wohnt nach seiner Einschätzung eine 250-köpfige Szene, die in NRW und eben auch am Niederrhein beziehungsweise in Krefeld ihr Unwesen treibt. Die hiesigen Geldinstitute sind in Sorge.

„Ich würde mir wünschen, wenn nicht alles an den Geldinstituten hängenbliebe“, beschreibt Sparkassen-Sprecher Peter Bauland einen gewissen Zustand der Machtlosigkeit. Die Polizei tue, was sie könne, aber die politischen Vorgaben grenzüberschreitender Fahndung setzten auch den engagierten Beamten klare Grenzen. „Es ist schwer erträglich, wenn ein permanentes Wettrüsten zwischen Kreditinstituten und Kriminellen über den fragwürdigen Erfolg von Straftaten entscheidet. Erst war es das sogenannte Skimming an Geldautomaten durch das Manipulieren der Tastaturen oder die Installation von Mikrokameras. Dann gab es die Sprengungen durch eingeleitetes Gas und neuerdings durch Sprengstoff. Was kommt als Nächstes?“

Seit 2010 habe man einen Millionenbetrag in die Sicherheit der Kunden investiert. Bewegungsmelder in Foyers installiert, schrittweise die Kamerasysteme aktualisiert, die mehr als 150 Geräte mit neuesten Sicherheitsausstattungen versehen. „Zur Vorbeugung gehört auch, dass wir die Foyers unserer Geschäftsstellen bis auf einige große Filialen in Krefeld und im Kreisgebiet in den Nachtstunden von 0 Uhr bis 6 Uhr geschlossen halten. So habe die Sparkasse viel getan, sehe aber dennoch die Grenzen: „Die aktuelle Entwicklung stellt ein Problem dar.“

Nachdem die angepassten Sicherheitsmaßnahmen und Nachrüstungen an den Geldautomaten in den Niederlanden vorübergehend auch zu weniger Sprengversuchen geführt hätten, steige die Zahl der Taten dort auch wieder an.

In den Niederlanden ist nach einer Sprengung ein Haus abgebrannt

LKA-Chef Uwe Jacob beschreibt einen gefährlichen Trend. „Dort sind die Täter inzwischen nicht mehr mit Gas, sondern mit richtigem Sprengstoff unterwegs.“ Abgesehen von Nachahmungstätern, „die nicht wissen, was sie tun“, habe sich auch in NRW die Zahl der Sprengungen von 67 in 2015 auf 132 bis Mitte Dezember 2016 nahezu verdoppelt. Besondere Gefahr sieht Jacob in der Unberechenbarkeit des Sprengstoffs: „Bislang haben wir hier nur Tote unter den Tätern, die auf der Flucht ums Leben gekommen sind.“ In den Niederlanden sei kürzlich nach einer Sprengung ein ganzes Haus abgebrannt.

Die Sparda-Bank reagiert mit einer kontinuierlichen Prüfung und Anpassung von Hard- und Software gegen die Bandenkriminalität gegen Krefelder Geldinstitute. „Neue Geldautomaten enthalten einen Gas-Ex-Tresor sowie ein installiertes Farbsystem, die bestehenden werden sukzessive mit den neuen Systemen nachgerüstet,“ sagt Sprecher Marc-André Pahl. Die Foyers der Filialen sowie die SB-Center würden rund um die Uhr von einer Sicherheitsfirma videoüberwacht. Die jährlichen Investitionen bewegten sich im sechsstelligen Bereich — für das Jahr 2016 waren es 200 000 Euro.

Pragmatismus auch bei der Volksbank Krefeld. Christian Davids erklärt: „Wir müssen und wollen die Geldversorgung ja anbieten“ Man halte Kontakt zu den Vollzugsbehörden und bessere bei Bedarf nach. Es gebe Gassensoren, die SB-Bereiche seien von 0 bis 6 Uhr geschlossen. Aber: „Wenn die was wegsprengen wollen, können wir wenig tun.“ Der Polizei wolle Davids gar keinen Vorwurf machen: „Das ist eine rein politische Diskussion.“ LKA-Pressesprecher Frank Scheulen kennt das Dilemma aus dem Eff-Eff. Auch die aktuelle Debatte über die personelle Ausstattung der Vollzugsbehörden auf allen Ebenen. Vorweg: „Dass die Polizei unterbesetzt ist, halte ich für ein Gerücht.“

Dennoch: „Natürlich können wir nicht neben jeden Automaten einen Polizisten stellen.“ Das LKA als zuständige Behörde für diese grenzübergreifende Kriminalität pflege zum einen noch mal eine andere Sicht als die örtlichen Polizeibehörden und die dazugehörigen Staatsanwälte. „Wir haben Kollegen aus der Präventionsabteilung hinzugehört, die die Verbände der Geldinstitute beraten und auf dem Laufenden halten.“ Führten die Spuren ins Ausland, laufe der Ermittlungsweg über ein Rechtshilfeersuchen, „und das kann in der Tat lange und kompliziert sein“.

Die Niederländer pflegten ein anderes Verständnis, die Polizei sei anders strukturiert. „Es herrscht kein Legalitätsprinzip wie bei uns. Erfolgt hier eine Straftaten, müssen die Behörden ermitteln.“ Jenseits der Grenze seien zumeist die einzelnen Bürgermeister die Polizeichefs und verlegten Entscheidungen über die Strafverfolgung und Ermittlung bei bestimmten Straftatbeständen in Konferenzen zu Jahresbeginn. „Es gibt schlicht ein anderes Rechtsverständnis.“ Im Rahmen der Abkommen arbeite man aber „sehr eng zusammen“. Eine Beurteilung über politischen Handlungszwang will Scheulen nicht abgeben.

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