Intendant Michael Grosse: „Die halbe Strecke ist geschafft“

Seine Amtszeit ist zur Hälfte um. Hier spricht der Theaterchef über die Finanzen, das Programm und den Tod von Graham Jackson.

Herr Grosse, Sie haben die Hälfte Ihrer Amtszeit hinter sich. Zu Anfang sind Sie angetreten mit der Aussage: „Wir müssen unsere Hausaufgaben machen.“ Haben Sie das bislang geschafft?

Michael Grosse: Wir sind im Soll — wirtschaftlich, strukturell und künstlerisch. Aber es gibt noch eine Menge zu tun. Bis 2015 muss die Theater-GmbH mehr als eine Million Euro einsparen. Die halbe Strecke dahin ist geschafft.

Sie haben zur neuen Spielzeit die Preise um 15 Prozent erhöht. Gab es Einbrüche beim Kartenverkauf?

Grosse: Für den Einzelverkauf ist das im Moment noch schwer abzuschätzen. Bei den Abos haben wir fast alle Kündigungen aufgefangen. Das Minus liegt vielleicht bei 100 bis 150 Abonnements.

Wirtschaftsdaten lassen sich messen, künstlerischer Erfolg nicht. Woran machen Sie den fest?

Grosse: Die guten Besucherzahlen sind ein Gratmesser. Es gibt offenbar eine Akzeptanz für unseren Spielplan, obwohl der sicher nicht anbiedernd ist. Trotz des immensen finanziellen Drucks stellen wir Konvention und Innovation nebeneinander. Das müssen wir auch: Das Publikum in beiden Städten ist sehr kritisch.

Der Erfolg beruht auch auf dem geschickten Einbau sicherer Zugpferde wie „Rocky Horror Show“ und „Blues Brothers“. Kann dieses Kunststück jedes Jahr gelingen?

Grosse: Eine sichere Bank gibt es am Theater nie. Natürlich haben wir versucht, Zugpferde zu finden, aber das allein macht nicht den Erfolg aus. Nehmen wir das Ballett: 80 Prozent Auslastung sind in diesem Bereich sehr ungewöhnlich. Auch Opern wie „Norma“ haben uns durch ihr Publikumspotenzial überrascht.

Ballettchef Robert North wird 2015 bei Vertragsende 70 Jahre alt sein. Ist er überhaupt zu ersetzen?

Grosse: Für Choreografen gibt es keine schöpferische Altersgrenze. Manche leisten auch mit 80 Jahren noch hervorragende Arbeit. Robert North ist ein Glücksfall für dieses Theater, nicht nur durch sein Können, sondern durch seine feine menschliche Art. Er ist ein großer Künstler.

Kann das Theater es sich weiterhin leisten, auch Kontrapunkte zu setzen — also Stücke, die nur eine geringe Auslastung erreichen?

Grosse: Theater muss sich das immer leisten, sonst müsste es auf Gegenwartsthemen, junge Autoren und Komponisten komplett verzichten und die Wirklichkeit aussperren. Das wäre völliger Blödsinn. Ich bin überzeugt davon, dass Theaterbesucher sich mit Gegenwart und Wirklichkeit auseinander setzen möchten.

Werden Sie Ihrer künstlerischen Linie bis 2015 treu bleiben oder wird es Veränderungen geben?

Grosse: Wir machen weiter wie bisher. Unser Programm wird draußen akzeptiert und verstanden. Und: Es ist die Überzeugung der Mannschaft. Da schlummern noch viele interessante Projekte. Positive Impulse bekommen wir aktuell durch Generalmusikdirektor Mihkel Kütson und den 1. Kapellmeister Alexander Stei-nitz. Sie bringen neue Energie.

Der Übergang von Graham Jackson zu Kütson hätte nicht tragischer laufen können. Wie haben Sie diese Zeit persönlich erlebt?

Grosse: Graham Jacksons Tod hat mich sehr aufgewühlt und bewegt. Ich habe so gehofft, dass ihm noch mehr Zeit bleibt. Er wollte unbedingt noch diese vier letzten Sinfoniekonzerte spielen. Die Musik war sein Leben.

Wird man Sie hier am Niederrhein noch als Regisseur erleben?

Grosse: Momentan eher nicht. Ich bin zurzeit stärker als Schauspieler im Rennen. Ich bin in fünf Stücken dabei — das sind 40 Abende. Hinzu kommen die Moderationen. Das ist zwar ein höherer Zeitaufwand, als ein Stück zu inszenieren, aber es hat sich so ergeben.

Ihre Präsenz ist nicht nur auf der Bühne hoch, sondern auch im städtischen Leben.

Grosse: Genau darauf kommt es mir an: die Begegnung auf Augenhöhe — mit dem Publikum und mit anderen Künstlern.

Sie zeigen das auch durch Engagement. Zuletzt haben Sie den Protestbrief der freien Szene gegen Einsparungen unterschrieben.

Grosse: Wer A sagt, muss auch B sagen. Ich kann nicht einerseits Kontakte zur freien Szene knüpfen und andererseits die Beziehung ignorieren, wenn es drauf ankommt. Ich halte es für problematisch, die freie Szene immer mehr an den Rand zu drängen — bis in Bereiche, wo Existenzen konkret bedroht sind.

Als Chef des Theaters konnten Sie die jüngsten Spardebatten recht entspannt verfolgen: Die Zuschüsse sind bis 2015 festgelegt.

Grosse: Moment, unsere Lage ist alles andere als komfortabel. Die Zuschüsse sind zwar festgelegt, aber gedeckelt. Wir müssen, wie gesagt, bis 2015 eine Million Euro erwirtschaften. Komfortabel war und ist die Planungssicherheit im Zeitraum 2010 bis 2015.

Was passiert danach?

Grosse: Darüber denken die Verantwortlichen im Aufsichtsrat intensiv nach. Fest steht: Wir müssen bis nächsten Sommer eine definitive Aussage haben, wie die Anschlussfinanzierung aussieht. Das schreiben die Fristen im Gesellschaftervertrag so vor.

Angesichts der ständig steigenden Tariflöhne werden Sie mehr Geld brauchen als bisher.

Grosse: Das ist richtig.

Können Sie sich ab 2015 eine zweite Amtszeit vorstellen?

Grosse: Solange die grundlegenden Zukunftsfragen des Hauses nicht geklärt sind, halte ich die Diskussion um Personen für unangemessen. Das wäre nicht die richtige Reihenfolge.

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