Krefeld Hochschule Niederrhein: Pflege wird stärkster Studiengang

Der Präsident der Hochschule Niederrhein, Hans-Hennig von Grünberg, blickt in die Zukunft.

Krefeld. In Kiel geboren, aufgewachsen in einem Haus am Meer: Hans-Hennig von Grünberg ist ein Kind der Ostsee. „Ein Beachboy sozusagen“, schmunzelt er. Heute trägt er Anzug, fürs Foto greift er noch zur Krawatte — das erwarte man so vom Präsidenten der Hochschule Niederrhein, glaubt von Grünberg.

Mit 20 Jahren verlässt der heute 51-Jährige seine Heimat, um erst an der RWTH Aachen, später in Berlin Physik zu studieren und zu promovieren. Seinen ersten Job bekommt er in England — als Assistent von Sir Roger Elliott, einem Festkörperphysiker an der Universität von Oxford.

Später arbeitet er für den wissenschaftlichen Springer Verlag, wird als Professor für Theoretische Physikalische Chemie ans Institut für Chemie der Uni Graz berufen. 2009 wird er zum Präsidenten der Hochschule Niederrhein gewählt; lebt heute mit seiner Frau und den fünf Kindern in Tönisvorst.

„Eigentlich wollte ich immer irgendwann zurück nach Kiel — bisher hat das nicht geklappt“, sagt von Grünberg. Im Sommer zieht es ihn regelmäßig in den Norden. Auch, um „alle 13 Strände zwischen Kiel und Eckernförde mit meinen Kindern abzubaden“. Dass die drei ältesten des Hochschulpräsidenten studieren, mag nicht weiter verwundern.

Mit der WZ spricht er über die Chancen des Dualen Studiums, die Herausforderungen, die zwei Standorte Krefeld und Mönchengladbach unter einen Hut zu bringen — und wagt einen Blick in die Zukunft.

Herr von Grünberg, gut 10 000 Studierende gab es 2007 an den beiden Standorten Krefeld und Mönchengladbach — heute, zehn Jahre später, sind es 14 650. Soll die Hochschule Niederrhein weiter wachsen?

Hans-Hennig von Grünberg: Wir finden diese Zahl gut und wollen damit in den nächsten Jahren leicht abfallen, um uns bei 13 000 bis 14 000 Studierenden einzupendeln. Wir wollen keine Massenhochschule werden. Die Qualität spricht dagegen. Die Betreuungszahl im Verhältnis von Lehrenden zu Lernenden ist bereits jetzt strapaziert. Der Anteil der Studierenden an einer Hochschule der angewandten Wissenschaften, wie man Fachhochschulen heute nennt, hat in ganz NRW zugenommen. 2010 waren es etwa 25 Prozent der Alterskohorte, die dort anfingen, jetzt sind wir bei 35 Prozent. Die jungen Leute sind sehr pragmatisch. Unsere Philosophie, Praxis und Lehre miteinander zu verbinden, und die starke Berufsorientierung unserer Studiengänge kommen bei ihnen gut an. Hinzu kommt: Im IHK-Kammerbezirk Mittlerer Niederrhein sind wir die einzige Hochschule vor Ort. Hier leben 1,5 Millionen Menschen. Wenn Sie meine Heimatstadt Kiel nehmen, dort leben 250 000 Menschen, und es gibt drei Hochschulen.

Was zieht junge Menschen zum Studieren nach Krefeld, an die Hochschule Niederrhein?

von Grünberg: Unsere Studierenden kommen natürlich aus Krefeld und Mönchengladbach. Aber sie kommen auch aus den Kreisen Viersen, Wesel, Kleve, Heinsberg und Neuss. Für Studiengänge, in denen wir ein Alleinstellungsmerkmal haben, in Krefeld ist das am Fachbereich Gesundheitswesen, kommen Studierende auch von weiter her. Das wesentliche Merkmal, um bei uns zu studieren, ist aber die Heimatnähe. Wir sind nicht die Uni Heidelberg, wir sind die Hochschule Niederrhein. Insofern bin ich völlig d’accord mit den pendelnden Studenten, die aus Bocholt oder Geldern hierher kommen. Wir leben von den Menschen, die heimatnah studieren möchten. Als regionale Hochschule sehe ich unsere Aufgabe darin, die Menschen in der Region zu halten und ihnen hier vor Ort ein hervorragendes Studienangebot zu bieten.

Warum entscheiden sich immer mehr junge Menschen nach der Schule für ein Studium?

von Grünberg: Als ich 2010 als Hochschulpräsident anfing, haben 42 Prozent eines Jahrgangs irgendwann mal in ihrem Leben ein Studium angefangen — heute sind wir bei fast 60 Prozent. Das ist natürlich dramatisch, weil wir bei den Ausbildungsberufen, im Handwerk etwa, diese Leute vermissen. Als Hochschule profitieren wir davon enorm. Vielleicht ist es ein Globalisierungseffekt, da es in den Nachbarländern keine Berufsausbildung wie bei uns gibt. Die Ausbildung zur Hebamme läuft in einigen Nachbarländern über ein Studium. Auch wenn wir an die Pflege denken: Da sind wir in Deutschland die Letzten in Europa, die diesen Beruf akademisieren. Hier setzen wir mit dem Dualen Studium an, indem wir die Ausbildung in das Studium integrieren. Der Studiengang Handwerksmanagement etwa ist unser Versuch, den Handwerksbetrieben zu zeigen: Wir helfen Euch bei diesem Nachwuchsproblem.

Es studieren so viele Menschen wie nie, gleichzeitig steigt die Zahl der Studienabbrecher. Wie hoch ist die Quote bei Ihnen?

von Grünberg: Die hängt sehr stark vom Fachbereich und vom Studienmodell ab: Bei den dualen Studiengängen haben wir kaum Abbrecher. An Fachhochschulen insgesamt sieht es besser aus als an den Universitäten, in dem Fachhochschulkonzert sind wir ganz normal im Mittelfeld.

Das Duale Studium ist an der Hochschule Niederrhein ein Erfolgsmodell.

von Grünberg: Ein Duales Studium ist das Ticket für beruflichen Erfolg. Wir bieten es seit 1981 an und waren damit die Ersten in NRW. Acht Prozent unserer Studierenden sind dual — hinter jedem steht ein Ausbildungsvertrag. Sie finden schneller einen Job als andere: Jeder Dritte duale Absolvent schreibt keine einzige Bewerbung, sondern wird direkt abgeworben.

Was haben Fachhochschulen den Unis voraus?

von Grünberg: Wer sich mit Hilfe eines akademischen Studiums und großen Praxisanteilen auf einen Beruf vorbereiten möchte, der ist bei uns richtig. Die Universität ist der Ort der Wissenschaft, wo Wissenschaftler ausgebildet werden. Das sind zwei komplementäre Elemente, die man nebeneinander in der Hochschullandschaft zulassen sollte. Zugespitzt: die Fachhochschulen für den Arbeitsmarkt, die Universitäten für die Wissenschaft.

Zum Wintersemester wird der neue Duale Studiengang mit dem Schwerpunkt Pflege in Krefeld starten.

von Grünberg: Es ist ein hochattraktives Studium. Ich könnte mir vorstellen, dass es in fünf bis zehn Jahren einer unserer stärksten Studiengänge sein wird. Wir haben Kooperationsverträge mit acht Pflegeschulen in der Region unterschrieben. Die schicken ihre guten Schüler nach dem ersten Halbjahr in der Schule und in der Praxis ab dem Sommersemester 2018 zu uns. Ich schätze, 50 Einschreibungen schaffen wir beim ersten Durchgang.

Welche Chancen sehen Sie darin?

von Grünberg: Ich kann mir vorstellen, dass ärztliche Tätigkeiten künftig durch einen akademisierten Pfleger übernommen werden und im Krankenhaus statt zwei Ärzten und zwei Pflegern ein Arzt, ein Pfleger und zwei akademisierte Pfleger arbeiten — in der Mischkalkulation ist das günstiger. Zu wenig Interessenten gibt es sicher nicht, bisher haben sie aber kein Arbeitsfeld. Deswegen ist das neue Pflegeausbildungsgesetz des Bundes so wichtig. Darin steht auch, dass bis zu 30 Prozent eines Jahrgangs an Pflegeschulen künftig akademisiert werden sollen.

Vor welche Herausforderung stellt Sie die Aufteilung zwischen zwei Standorten, Krefeld und Mönchengladbach?

von Grünberg: Sie haben andere Studierende, andere Fachbereiche, andere Professoren, auch eine andere Historie in Krefeld als in Gladbach. Die Gladbacher haben sich immer mit ihrem Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik identifiziert, das ist eine textile Hochburg. In Krefeld identifiziert sich die Stadt am ehesten mit Design, denn wir haben hier die Werkkunstschule gehabt, das ist eine alte Krefelder Einrichtung mit sehr berühmter Designtradition. Aber die Standorte sind doch sehr verschieden, es ist für uns die hohe Kunst, immer beiden verschiedenen Städten gerecht zu werden — da kämpfen wir jeden Tag drum.

Warum ist das so schwierig?

von Grünberg: Zum einen die Entfernung: Sie fahren knapp 25 Kilometer von Krefeld nach Gladbach. Dann sind es zwei Städte, die sich nicht immer grün gewesen sind. Generell ist es schwierig, nicht einen Campus zu haben, sondern mehrere. Alleine in Krefeld haben wir zwei. Wir haben durch diese Aufteilung nicht die Möglichkeit, unsere Größe mal zu spüren. Das bedauere ich sehr.

Welche Rolle spielt die Integration Geflüchteter an der Hochschule?

von Grünberg: 2015 hatten wir ganz große Zahlen vor der Brust, dachten, uns würde die Bude eingerannt. Dann sind es hier doch viel weniger geflüchtete, studierfähige Menschen geworden als wir uns gedacht haben. Derzeit bereiten wir 56 Geflüchtete in Sprachkursen auf ein Studium vor.

Wo sehen Sie die Hochschule in zehn Jahren?

von Grünberg: Ich bin ausgesprochen optimistisch. Die Hochschule hat sich in den vergangenen zehn Jahren sagenhaft gut entwickelt. Wir sind sehr stark darin, Wissen in die Region zu bringen. Wir tun uns mit der Industrie zusammen, können sehr vernünftig auf den Beruf vorbereiten, auch angewandte Forschung machen, die sehr problemorientiert ist. Wenn man das alles wirklich ernst meint, dann gehen wir da sehr guten Zeiten entgegen. Denn da müssen wir in Deutschland noch besser werden: Wir müssen uns mehr darum kümmern, dass Wissenschaft in die Fläche kommt. Wenn wir das konsequent tun, dann glaube ich, wird in zehn Jahren die Hälfte aller Studierenden an der Fachhochschule studieren — und das ist gut so.

Was muss am Standort noch besser werden, damit weiter junge Menschen zum Studieren nach Krefeld kommen?

von Grünberg: Ich wünsche mir, dass wir mehr in der Innenstadt sichtbarer werden, um zu zeigen, dass es uns in Krefeld gibt. Es ist eine unglückliche Idee gewesen, an den Rand der Stadt zu ziehen. Generell: Wir müssen ein schönes Campusleben organisieren, wir müssen vernünftige Parkplätze mit guten Zufahrten haben, man muss gut hierher kommen können.

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