Historiker Hügen über den Krieg: „Es war ein absolutes Tabuthema“

Schiefbahner befasst sich seit 1946 mit dem Kriegsende am Niederrhein. Damit stößt er nicht immer auf Gegenliebe.

Historiker Hügen über den Krieg: „Es war ein absolutes Tabuthema“
Foto: F. Reimann

Krefeld/Willich. Ludwig Hügen hat viele historische Bücher über den Niederrhein geschrieben. Als einer der ersten befasste er sich mit den letzten Kriegstagen im Jahr 1945, später schrieb er seine Doktorarbeit über das Thema. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Hügen über den schwierigen Umgang mit der eigenen Geschichte.

Herr Hügen, war das Ende des Krieges 1945 für die Menschen am Niederrhein eine Befreiung oder eine Niederlage?

Ludwig Hügen: Bei all meinen Gesprächen mit Zeitzeugen habe ich nie das Wort Befreiung gehört. Es wollte ohnehin niemand über das Thema sprechen. Es war für die meisten ein absolutes Tabuthema, man wollte nichts mehr davon wissen.

Hügen: Das war direkt ein Jahr nach Kriegsende im Jahr 1946. In Schiefbahn hatte es kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner noch heftige Kämpfe gegeben. Der Vorsitzende vom Heimatverein kam auf mich zu und sagte, das müsste jemand mal alles aufschreiben.

Hügen: Quellen und Archive waren gar nicht verfügbar. Später war ich dann in England im Archiv, dort gab es erheblich mehr Material und Unterstützung als in Deutschland. Das war für mich eine sehr positive Erfahrung.

Viele sprechen von der „Stunde Null“. Teilen Sie die Thesen?

Hügen: Die Formulierung hat sich zwar eingebürgert, doch bin ich anderer Ansicht, denn zumindest regional gab es gab keine richtige Zäsur. Viele Linien liefen weiter, viele Menschen blieben in ihren Positionen. Ich empfinde es nicht als „Stunde Null“.

Hügen: Ich habe nichts Negatives gehört. Nun liegt es aber auch in der Natur der Sache, dass diejenigen, die die Auseinandersetzung mit der Geschichte ablehnen, einem das nicht ins Gesicht sagen, sondern schweigen. Es gab nur wenig Reaktionen.

Hügen: Für mich war es erstmal rätselhaft und vor allem habe ich die Kritik und Auseinandersetzung mit meiner Arbeit vermisst. Deutlicher spürbar war der Gegenwind allerdings, als ich über das Schicksal der Juden am Niederrhein geschrieben habe.

Hügen: Das kam erst sehr viel später mit der jüngeren Generation. Bei den damals Beteiligten konnte meiner Ansicht nach gar kein Gefühl von Befreiung entstehen. Viele waren Teil des Systems und hätten sich ja von sich selbst befreien müssen.

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