Helios: Männer? Ab 23 Uhr verboten!

Zwei ehemalige Bewohner erzählen von ihrem Leben im Schwesternwohnheim – und wie strenge Vorschriften damals umgangen wurden.

Krefeld. Wenn am Samstag das ehemalige Schwesternwohnheim des Helios-Klinikums in die Luft fliegt, dann wird auch das Haus zerstört, das Hedwig Nievelstein 27 Jahre lang ihr Zuhause nannte. In dieser langen Zeit fühlte sie sich fast nie allein.

"Es war ganz anders als heute; heute leben die Schwestern in der Stadt und ein richtiges Gemeinschaftsgefühl kommt nur selten auf", sagt die 66-Jährige.

Der Blick zurück: Es ist das Jahr 1974. Die Schwesternschülerinnen tragen gestärkte und gefaltete weiße Hauben, weiße Röcke und das "Muss": Unterröcke. Denn bei Gegenlicht wurden die weißen Röcke durchsichtig. Die Volljährigkeit erlangt man erst mit 21 Jahren.

Auf acht Etagen sind etwa 140 Wohnungen und Apartments verteilt, je ein Gemeinschaftsbad und eine -küche. Und Hedwig Nievelstein zieht in das Personalhochhaus I ein - als Lehrerin für Pflegeberufe. Sie trägt Verantwortung für "die Mädchen".

Veranwortung, das heißt ungebetene Gäste fernhalten und für kranke Schülerinnen sorgen. Verantwortung bedeutet aber auch: Partys feiern, Filmabende organisieren und abends mit den Mädchen grillen.

Damit neue Schülerinnen kein Heimweh bekommen, denkt sie sich etwas Besonderes aus: "Mit den Älteren haben wir die Zimmer nett gemacht und sie mit Blümchen, einer Willkommenskarte und Servietten dekoriert", erinnert sich Hedwig Nievelstein. Außerdem richtet sie ein Nähzimmer ein und wacht über den Schlüssel: Schicke Kleider nähen sich die Mädchen selbst.

"Einmal", sagt sie, "haben wir uns in der Medienzentrale ein Filmgerät ausgeliehen und alle zusammen den ’Aufstand der Tiere’ gesehen." Im Partykeller feiern die jungen Damen wilde Feste, es fließt sogar Alkohol.

Auch wenn Hedwig Nievelstein jeden Abend um 23Uhr die Türen abschließt - Langeweile kommt selten auf. Im Gebäude stehen sogar Tischtennisplatten. "Die Bälle dazu habe ich erst vor kurzem wieder gefunden. Ich habe sie verschenkt", sagt die heutige Rentnerin.

Roderich Paul Kowal spielte in dem Gebäude ebenfalls Tischtennis - aber natürlich nur tagsüber, denn ab dem späten Abend "waren Männer dort eigentlich verboten", sagt der Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin.

Er wohnte damals im Haus gegenüber. Besonders erinnert er sich an den Pförtner, der für Ordnung sorgen sollte und deswegen eine Strichliste führte.

"Wenn ein Mann das Gebäude betrat, machte der Pförtner einen Strich und schrieb sich die Zimmernummer auf. Wenn der Mann das Gebäude wieder verließ, machte er einen Querstrich", erzählt der heute 62-Jährige.

Ein ausgeklügeltes System, das einige Schlupflöcher aufweist. "Ein beliebter Trick war, dass die Männer falsche Zimmernummern angaben, so dass der arme Pförtner mit seiner Liste ganz durcheinander kam", sagt Kowal lachend.

In der achten Etage legten die Schwesternschülerinnen ihre Abschlussexamen ab. Eine leichtere Übung als heute: "Zum Beispiel lagen auf einem Tapeziertisch medizinische Geräte; sie mussten nur benannt werden", erzählt Kowal.

An die Partys mit Plattenspieler- und Radiomusik erinnert er sich auch heute noch gern; meist wurde gequatscht, zum Tanzen war es zu eng. "Da wird sich wohl manche Beziehung angebahnt haben, die bis heute noch andauert", sagt er augenzwinkernd.

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