Bahnhofsmission Ein Haarschnitt für Bedürftige

Die „Barber Angels“ machen Halt in Krefeld. Etwa 100 Menschen lassen sich am Hauptbahnhof die Haare schneiden.

Krefeld. Eine Schlange zieht sich von den Räumen der Bahnhofsmission bis auf den Bahnsteig des Hauptbahnhofs. Es sind Obdachlose und andere Bedürftige, die sich die Haare schneien oder den Bart stutzen lassen — kostenlos, von zehn Friseuren der „Barber Angels Brotherhood“.

Und etwa 100 sind gekommen: „Ich habe es zufällig gesehen, als ich aus dem Zug gestiegen bin“, sagt Yusuf Bayram. Einen neuen Haarschnitt hatte er erst für den nächsten Monat einkalkuliert. „Immerhin zehn Euro gespart“, sagt der 49-Jährige — momentan ohne Arbeit, da schaue er auf jeden Betrag.

Dieter Danielmeier ist gezielt zur Bahnhofsmission gekommen. Der Rentner hatte in einer Kirche von der Aktion erfahren. Einen frischen Haarschnitt hat er seit einem Jahr nicht mehr gehabt. Über die Möglichkeit freut er sich: „Was ich an Rente bekomme, holt sich die Krankenkasse direkt wieder.“ Er wird vom Präsidenten höchstpersönlich frisiert: Claus Niedermaier macht ihm die Haare und den Bart — einen bestimmten Wunsch, wie es werden soll, hat Danielmeier nicht. „Ich glaube, dass das was wird“, sagt er und fühlt sich sichtlich gut aufgehoben.

Das freut Niedermaier: „Wir wollen den Menschen ihre Würde wieder geben und Selbstvertrauen schaffen. Denn jeder Mensch wird von oben bis unten erst mal gescannt. Da muss der erste Eindruck stimmig sein.“ Da mache der Haarschnitt einiges aus. „Sie wachsen aus dem Friseurstuhl heraus, mit einer ganz anderen Körperhaltung.“ Niedermaier nimmt sich für Danielmeier eine halbe Stunde Zeit — „wie im Salon auch“ — und kümmert sich auch um den Bart, „das zweite Gesicht“.

Sonst kommt sie jeden morgen zum Kaffeetrinken in die Bahnhofsmission — als Nächstes ist Frührentnerin Dag´mar Kremer dran. Die hätte sonst gar keinen Friseurbesuch geschafft. „Ich schneide mir den Pony selber, auch wenn es bisschen schief wird. Manchmal hilft mir die Nachbarin.“ Seit 27 Jahren lebt die 52-jährige in Krefeld.

„Sie wachsen aus dem Friseurstuhl heraus, mit einer ganz anderen Körperhaltung.“

Claus Niedermaier, Präsident der „Barber Angels Brotherhood“

In Behördenangelegenheiten wird sie von der Diakonie unterstützt. Mit der Friseurin ist sie direkt warm geworden: „Sie kam mir direkt sympathisch rüber. Sie ist tätowiert. Ich hab gesagt, mach mir mal die Haare“, und lächelt zufrieden. „Früher wäre ich dran vorbei gelaufen“, sagt sie.

Berührungsängste versuchen die Barber Angels auch äußerlich zu nehmen: schwarze Kutte statt weißer Friseurweste. Die schwarze Kutte soll helfen Barrieren abzubauen und Nähe zu schaffen. Auf Serdal Aslars Kutte steht „Freddy“, der Spitzname sei einfach griffiger, meint der Nordhesse. Er schneidet einem Kunden die Haare. Die waren eigentlich noch relativ kurz, bevor er auf dem Vorplatz der Bahnhofsmission in der Sonne Platz genommen hat. „Die Seiten sind mir sehr wichtig“, sagt der 32-jährige Neu-Krefelder. Seit zwei Monaten ist er aus Aachen hierher gezogen. In ein Haus der Diakonie, wo er sich einbringt und dafür eine Unterkunft erhält. Das Schicksal habe die beiden zusammengebracht, meint er. „Ein Zufall ist mehr wert als 1000 Verabredungen“, sagt „Freddy“ — die Wellenlänge stimmt zwischen den beiden.

Nach dem Schnitt holt sich der 32-Jährige eine Tüte mit Pflegeprodukten ab. Die überreicht der bekannte Schauspieler Jochen Nickel. „Ich bin unglaublich berührt, wenn ich die Dankbarkeit sehe“, sagt Nickel. Er unterstützt das Projekt seines Freundes Niedermaier. „Nicht nur durch eine Spende Ablass zu tun, sondern sich physisch den Bedürftigen zuzuwenden.“

Obdachlose und andere Bedürftige danken ihm mit einem herzlichen Lächeln und gesteigertem Selbstwertgefühl. „Das ist hier Mitmenschlichkeit pur“, meint auch Hannelore Lloyd-Heume, Pressesprecherin der Diakonie Krefeld. Die Aktion sei ein voller Erfolg.

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