Debatte "Streitbar" DGB-Chef klagt Mitbestimmung ein

Krefeld. Wenn DGB-Chef Reiner Hoffmann schon in Krefeld zu Gast ist, stattet er der IG Metall natürlich einen Besuch ab, die gerade ihr 125-jähriges Jubiläum feiert. Diese Gelegenheit nutzten IGM-Bevollmächtigter Ralf Claessen sowie DGB-Kreis- und Stadtverbandsvorsitzender Ralf Köpke am Freitagabend, um Gewerkschafter und Betriebsräte in die „Streitbar“ zur Volkshochschule einzuladen.

WZ-Redaktionsleiter Michael Passon moderierte. Schließlich brennen ihnen aktuelle Sorgen in Krefelder Betrieben wie bei Siempelkamp förmlich auf den Nägeln.

DGB-Kreisvorsitzender Ralf Köpke berichtete, dass nur noch 30 Prozent der Krefelder Betriebe über einen Flächentarifvertrag verfügen. Aktuell wolle der Maschinenbauer Siempelkamp aus dem Flächentarifvertrag aussteigen. Das habe der Gewerkschaft IG Metall einen Zulauf von 100 neuen Mitgliedern gebracht, die nun mit Arbeitskampf droht. In vielen Betrieben werde Druck auf Mitarbeiter ausgeübt, um die Gründung eines Betriebsrates zu verhindern. Mitunter gelinge es, wie in einem Wäschereibetrieb, einen Betriebsrat durchzusetzen, aber es gebe noch keinen Tarifvertrag.

Zunächst berichtete Hoffmann jedoch von seinen Nöten, die über den regionalen Tellerrand hinaus bis nach Europa reichen. „Ganz Europa ist im Krisenmodus“, sagt er. Immer mehr Bürger wenden sich von Europa ab, weil Wohlfahrtsversprechen nicht eingehalten werden und der soziale Standard stetig sinkt. Hinzu komme die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den südlichen Ländern, so dass Hoffmann den sozialen Frieden gefährdet sieht. Sollten sich bei den anstehenden Wahlen in Österreich und Frankreich rechtspopulistische Kräfte durchsetzen, sehe Europa danach anders aus.

Zwar sei der deutsche Arbeitsmarkt noch eine stabile Insel mit Mindestlohn mitten in Europa, aber bei der Mitbestimmung bewege sich gar nichts mehr, sieht der DGB-Chef das Betriebsverfassungsgesetz in Gefahr und großen Reformbedarf. „Betriebsratswahlen werden zunehmend von vielen Unternehmern durch darauf spezialisierte Anwaltskanzleien verhindert und Mitarbeiter, die einen Betriebsrat gründen wollen, mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bedroht“, prangert er an. Und droht selbst: „Wenn die Unternehmen so weitermachen, machen wir das zum Hauptthema des Bundestagswahlkampfes.“

Auch die Digitalisierung und ihre Risiken müsse man im Auge behalten, sagt Hoffmann. Man solle sie jedoch nicht verteufeln, sondern die Chancen nutzen. Entscheidend sei, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und sie in die betrieblichen Prozesse zu integrieren. Hoffmann beklagt trotz Digitalisierung eine erheblich zunehmende Arbeitsbelastung in Deutschland, die durch eine Milliarde Überstunden im Jahr gekennzeichnet sei. „Das sind keine gesunden Arbeitsverhältnisse mehr, sondern Stress pur.“

Hoffmann fordert die Anwesenden auf, die Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebsräte zu nutzen. Mit 180 000 Betriebsräten und 220 000 Personalräten in Deutschland sei man sehr wohl handlungsfähig. In der anschließenden, von WZ-Redaktionsleiter Michael Passon moderierten Debatte nennen die Teilnehmer gleich mehrere Gründe für die abnehmende Bereitschaft zum Arbeitskampf. Zum Beispiel bleibe für das gewerkschaftliche Ehrenamt in der modernen Familie mit zwei Verdienern weniger Zeit. Auch werde in den Schulbüchern heute kaum noch über die Gewerkschaften aufgeklärt.

Landtagsabgeordnete Ina Spanier-Oppermann (SPD), langjährige Betriebsrätin, spricht die Angst vor dem Jobverlust an. Gerade ältere Menschen engagierten sich deshalb nicht mehr im Betriebsrat. Ralf Claessen meint, man müsse Mitglieder darin unterstützen, dass sie sich wieder trauen, in den Betrieben Stellung zu beziehen. Anstatt zu oft über Tarifpolitik zu reden, solle man besser gesellschaftliche Probleme ansprechen. Zu guter Letzt wünschte sich Hoffmann Unterstützung eine Erwerbstätigenversicherung für die vielen sozialversicherungsfreien Selbstständigen und geringfügig Erwerbstätigen.

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