Beruf Damit es mit Job und Kind klappt

Familie und Beruf sind für viele Arbeitnehmer schwer zu meistern. Eine Podiumsdiskussion soll Anregungen zu dem Thema geben.

Beruf: Damit es mit Job und Kind klappt
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Krefeld. „Die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere ist eine Lüge“, knallt Heinrich Wefing provokativ seinen Mitstreitern und den 80 Besuchern am Campus Fichtenhain vor den Latz. Der Autor und Journalist stand im Rahmen der Veranstaltung „Geht alles gar nicht oder vielleicht doch?!“ den Anwesenden Rede und Antwort zu dem Thema Familie und Beruf. Mit ihm diskutierten auf dem Podium Jekatarina Rudolph vom Netzwerk Erfolgsfaktor Familie, Wirtschaftsförderer Eckart Preen sowie die Geschäftsführer Marco Nöchel und Markus Gawenda, deren Unternehmen 2015 zu den familienfreundlichsten gekürt wurden.

Den Auftakt bildete der Film „Eltern“ von Regisseur Robert Thalheim, der den turbulenten Alltag einer Großstadtfamilie mit Christiane Paul und Charly Hübner in den Hauptrollen zeigt. Lebensnah, chaotisch und mit viel Humor führt er ins Thema ein. WDR-Moderatorin Beate Kowollik entlockte den Gästen bei der anschließenden Diskussion viele Beispiele und Denkanstöße. Buchautor Wefing gab anhand von Zahlen eine Zustandsbeschreibung, die die Problematik verdeutlicht. So gingen Mütter heute nicht mehr wegen Rheuma sondern Burnout in Kur.

Die Zahl der Menschen mit Schlafstörungen sei dramatisch gestiegen. Deutschland habe die viertniedrigste Geburtenrate und die geringste Frauenarbeit aller Industrieländer. Unternehmer, von denen man flexiblere Arbeitszeiten fordere, stöhnten, jetzt solle man sich nach den Frauen auch noch um die Männer kümmern. Für viele Berufsgruppen wie Freiberufler und Journalisten seien feste Arbeitszeiten utopisch, sagt Wefing. Was sei das für ein Familienleben, wenn der Kellner, der von 18 bis 2 Uhr arbeitet, nach vier Stunden Schlaf die Betreuung seiner beiden Töchter übernimmt, weil die Frau ab 6 Uhr als Zimmermädchen im Hotel arbeite, nennt er ein Beispiel.

Ein Patentrezept gebe es nicht, aber viele gute Modelle für verschiedene Berufsgruppen. Alleinziehenden würde mehr finanzielle Unterstützung helfen — ein Versuch sei jedoch gerade politisch gescheitert.

Ein Unternehmen in München habe mit Erfolg für Manager die Vier-Tage-Woche eingeführt und dafür gesorgt, dass sie abends das Essen für die Familie mitnehmen können. Einkaufen und Kochen entfallen. Ein holländisches Modell helfe Mitarbeitern mit einer Auszeit in der Hochphase des Schaffens zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr, um sich um Kinder oder pflegebedürftige Eltern zu kümmern. Man erwirbt für die ausgefallene Zeit Rentenansprüche und verlängert den Renteneintritt entsprechend.

Jekaterina Rudolph versucht für ihr Netzwerk Unternehmen zu finden, die bereit und offen für flexiblere Arbeitszeiten sind. Sie berichtet aus dem Gaststättengewerbe von Hotels, die Kitas gründen. Außerdem von Pflegelotsen, die Demenzkranken helfen und von Unternehmen wie Lanxess, die Frauen den beruflichen Wiedereinstieg auf Probe ermöglichen. Ganz andere Probleme hätten Frauen in Ostdeutschland. Die hätten schon zu DDR-Zeiten gearbeitet und seien heute mit 20-Stunden-Jobs todunglücklich.

Markus Gawenda geht als Geschäftsführer der Krefelder Werbeagentur Sonic Sales Support mit 120 Mitarbeitern neue Wege. So hat er für eine alleinerziehende Mutter die Arbeitszeit angepasst, als sie durch den Schulwechsel ihres Sohnes Probleme bekam. Als Familienvater habe er dafür Verständnis und ein offenes Ohr für Mitarbeiter.

Er erwartet aber auch Entgegenkommen. In der Zeit bis zur Vorbereitung eines Kundenevents sei man zeitlich flexibel, wenn es auf die Durchführung zugehe, müsse die Agentur liefern. Auch Marco Nöchel zeigt sich als Chef eines kleinen IT-Unternehmens aufgeschlossen. „Kinder sind etwas Tolles und waren bei uns noch nie ein Problem“, sagt er. „Hauptsache, die Arbeit wird gemacht.“ Die Mitarbeiter könnten dies untereinander regeln und mit ihm abstimmen. Das schaffe auch Zufriedenheit: „Bei uns hat noch nie ein Mitarbeiter gekündigt.“ Ein Unternehmer einer Maschinenbaufirma überrascht als Besucher mit der Aussage, dass flexible Arbeitszeiten heute nicht mehr ausreichen, um Fachkräfte zu finden und zu binden. Er sei in schwierigen Fällen auch bereit, Mitarbeiter finanziell zu unterstützen.

Wirtschaftsförderer Eckart Preen spricht die Ausweglosigkeit an, die ihn und seine berufstätige Frau trotz aller Planung mit Ersatzmüttern und Eltern dann treffen, wenn die fast siebenjährige Tochter länger erkrankt. In Krefeld sei ihm keine Organisation bekannt, die weiterhelfe. Auch die Ganztagsbetreuung sei in Krefeld wie landesweit nicht ausreichend gelöst. Mitarbeiterin Kristina Freiwald hat drei Kinder und ist vorzeitig aus der Elternzeit zurückgekehrt. „Vereinbarkeit ist für mich das Unwort des Jahres“, sagt sie im Hinblick auf den Krieg um die Kita-Plätze.

Eine Akademikerin mit zwei Kindern berichtet, dass sie arbeitslos geworden sei und danach keine homeofficefähige Arbeitsstelle gefunden habe. „Ich mache mich jetzt selbstständig“, darin sieht sie ihre letzte Chance. Zwei Besucherinnen können den Ruf nach längerer Betreuungszeit für Kinder nicht verstehen. „Wenn ich die Kinder bis abends spät abgebe, wann habe ich dann noch etwas von ihnen und wie soll ich sie erziehen?“, fragt eine von ihnen.

Wefing versucht zu vermitteln: Es sei weder richtig, wenn Feministinnen Frauen, die wegen der Kinder zu Hause bleiben, verachten, noch wenn sie Mütter, die sich zwischen Beruf und Kind abrackern, als Rabenmütter verspotten. „Aus diesen Gräben müssen wir endgültig rauskommen.“

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