"Crash-Kurs NRW": Schockierende Erlebnisse

Bei „Crash-Kurs NRW“ hören Elftklässler von Betroffenen Schilderungen über schwere Unfälle, die unter die Haut gehen.

Krefeld. Als Polizeikommissarin Anke Bräutigam von dem toten Motorradfahrer mit dem abgerissenen Kopf erzählt, herrscht absolute Stille in der Aula. Schüler schlucken, als sie berichtet, wie sie es nur in Zeitlupe schafft, auf den Leichnam zuzugehen. Dass sie den verunglückten Motorradfahrer erst anschauen kann, als ihr der Notarzt versichert hat, der Kopf sei nicht abgetrennt, aber schlimm anzusehen. Die 37-Jährige konnte das junge Unfallopfer von der Duisburger Straße lange Zeit nicht vergessen. Nicht nur in den Stunden nach der Unfallaufnahme, bei der sie einfach funktioniert und ihren Job gemacht hat. Auch nicht in den Tagen danach. Und in den Nächten. „Ich habe immer wieder von Ralf geträumt“, schildert die Polizeibeamtin.

Es sind Momente wie diese, die den Moltke-Schülern beim „Crash-Kurs NRW“ nahegehen. Elftklässlern wird bei der gut einstündigen Veranstaltung deutlich gemacht, wie schnell ein Unfall geschehen und mit welchem Leid dies verbunden ist. Die Polizei hat diesmal die Gäste aus Bockum in der Aula der früheren Linner Burg-Schule. Eine Stunde lang sehen sie drastische Bilder, hören aber vor allem eindringliche Schilderungen.

Wie die von Dorothea und Theo Pasch. Sie haben am 26. Februar 2009 ihren 15-jährigen Sohn Martin bei einem Unfall verloren. Ein Bekannter hatte das Ehepaar angerufen, nachdem es in Vorst zu dem Unglück gekommen war. Die Paschs sahen zu, wie die Feuerwehr versuchte, den Jugendlichen aus dem Autowrack zu schneiden. Doch für ihn kam jede Hilfe zu spät. Ein Freund hat für Martin ein Lied gerappt, mit Bildern des Jungen ins Internet gestellt. Es ist seine verzweifelte Frage nach dem Warum, die unbeantwortet bleibt. Die Musik geht den Moltke-Schülern unter die Haut. Zwei von ihnen ist das zu hart: Sie verlassen den Raum und werden nebenan von Polizeibeamten betreut.

„Ich bin noch ganz aufgewühlt“, sagt auch Lehrer Lothar Knur, als er mit den 60 Schülern in Klassenräume geht, um über das Erlebte zu sprechen. „Die Lehrer sollen in die Augen ihrer Schüler schauen. Sie kennen sie besser als wir, um zu beurteilen, wie es ihnen geht“, sagt Polizeihauptkommissar Rainer Behrens. Die Moltke-Schüler sind wortkarg. Dass im Jahr 2010 von 550 Verkehrstoten allein 110 zwischen 17 und 24 Jahren alt waren, hat eine Schülerin schockiert. „Nur in NRW? Krass! Das sind ja mehr als heute hier waren“, sagt sie und blickt in die Runde. Eine Mitschülerin schildert, sie stehe noch ganz unter dem Eindruck, wie emotional das Ehepaar vom Tod seines Sohnes berichtet habe.

Dass es hart wird, davor warnen die Polizeibeamten zu Beginn der Veranstaltung. Aber nicht zu hart, meint Behrens: „Die Rückmeldungen, die wir von den Schülern erhalten, sind durchweg positiv. Und sie zeigen, dass sie sich noch Tage nach der Veranstaltung damit beschäftigen. ,Crash-Kurs’ ist Thema auf dem Schulhof“, sagt er.

Immer wieder gibt es aber auch Vorbehalte, die von Schulen geäußert werden. Zu Unrecht, findet Behrens. Lediglich früher schon einmal wegen schwerer Unfälle Traumatisierte sollten an der Veranstaltung nicht teilnehmen. Bei allen anderen setzt man darauf, dass sie als angehende Fahranfänger künftig einfach Nein sagen in kritischen Situationen. Wenn Alkohol im Spiel ist. Oder der Kumpel zu viel Gas gibt, wenn er am Steuer sitzt.

So, wie das Programm von „Crash-Kurs“ mit wissenschaftlicher Begleitung entwickelt worden ist, soll auch eine Auswertung erfolgen. Ein Team von Fachleuten hat den Auftrag, nach fünf Jahren herauszufinden, ob die Schocktherapie die Unfallzahlen bei jungen Leuten senken konnte.

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