Bürokratische Hürden für blinde Hülserin

Keine Haushaltshilfe, kein Fahrdienst und auch kein Blindenhund: Ämter machen Nicole Johr das Leben schwer.

Bürokratische Hürden für blinde Hülserin
Foto: Andreas Bischof

Irgendwann wurde es für Nicole Johr furchtbare Wirklichkeit: „Ich wusste plötzlich, dass ich meinen kleinen Sohn und meinen Mann vielleicht schon am nächsten Tag nicht mehr würde sehen können.“ Durch eine Sehnerv-Entzündung ist die 37-jährige Hülserin trotz intensiver Behandlung innerhalb weniger Monate erblindet. Aber sie will sich nicht einfach so ihrem Leid ergeben. Nicole Johr will kämpfen, um sich in ihrem neuen Leben aktiv zurechtfinden, zumal sie auch jetzt noch ihren Job im Call-Center einer Firma in Fichtenhain ausüben kann.

Bürokratische Hürden bremsen sie jedoch aus und lassen sie verzweifeln. „Ich brauchte dringend einen Blindenhund und einen Fahrdienst für meine Wiedereingliederung“, erklärt Johr. „Die Genehmigungen lassen endlos auf sich warten. Manche Behörden behandeln mich, als sei ich geistig behindert. Innerhalb eines Jahres habe ich zwei Blindenstöcke und — nach Monaten — ein Gehstocktraining dazu bewilligt bekommen.“ Das war alles.

Nicole Johr

Rückblick: Es begann im vergangenen Jahr im Frühling mit Kopfschmerzen und einer leichten Sehstörung. „Der niedergelassene Arzt stellte eine Sehnerv-Entzündung fest, behandelte mit Cortison und erreichte eine leichte Verbesserung“, berichtet Johr. „Doch es wurde wieder schlimmer. Nach vier Wochen kam ich ins Krankenhaus. Trotz aller Bemühungen konnte ich im Juli auf dem rechten Auge nichts mehr sehen.“

Nicole Johr

Weihnachten 2016 kam die Panik. „Die gleichen Symptome zeigten sich am linken Auge. Ich kam in die Uni-Klinik Düsseldorf. Doch es gab keine Hilfe.“ Während die Erblindung am rechten Auge noch schleichend vorangeschritten war, verlief sie am linken schneller. Irgendwann rief sie ihren Mann an und bat ihn, schnell mit dem kleinen Sohn zu kommen. „Ich wusste, dass es zu Ende geht mit meiner Sehkraft und wollte beide noch einmal sehen. Vor allem meinen Sohn Maximilian kurz vor dem sechsten Geburtstag.“ Das war im Januar. Hinzu kam Todesangst. „War es das, oder kommt noch etwas?“, fragte sich die Mutter.

Die ganze Zeit über — bis heute — habe es Schwierigkeiten mit den Behörden, Rentenamt und Krankenkasse gegeben, die ihr das Leben noch schwerer gemacht hätten: „Ich musste acht Monate auf meinen Schwerbehindertenausweis warten. Hier musste ein besonderer Gutachter feststellen, dass ich blind bin. Der Arzt durfte das nicht. Der Gutachter sitzt in Essen und es gingen wieder Monate ins Land, bis ich einen Termin bekam.“

Das Schlimme daran: „Ohne den Ausweis werden keine Krankenfahrten erstattet.“ Eine dauerhafte Haushaltshilfe habe die Krankenkasse mit der Begründung abgelehnt, dass ihr Mann Schichtdienst leistet, am Nachmittag zu Hause sein kann und sie ja noch „zwei gesunde Arme und Beine“ habe.

Als Johr im Januar schließlich den Blindenstock bekommt, muss sie auf das Training damit bis Mai warten. „Jetzt gibt es eine Trainingsstunde pro Woche, mit der ich es geschafft habe, den Weg zur Schule meines Sohnes, zum Bäcker und Arzt zu bewältigen. Hier zahlt die Krankenkasse 30 Stunden. Es ist schwierig, sich selbst in der bekannten Umgebung zurechtzufinden. Aber ich schaffe das.“

Gerne möchte Nicole Johr schnell einen Blindenhund beantragen. Das geht aber erst, wenn sie das Blindenstock-Training vorweisen kann. „Könnte das nicht parallel laufen?“, fragt sie sich, zumal der Hund von der Krankenkasse laut Gesetz überhaupt nicht abgelehnt werden könne. „Der Hund muss ausgebildet und an mich gewöhnt werden. Wahrscheinlich muss ich auf den nächsten Wurf im Frühjahr warten. Ich fühle mich so elend.“

Und dann auch noch die Tatsache, dass die 37-Jährige längst wieder in ihrem alten Job als Teamleiterin in einem Call-Center in Fichtenhain arbeiten könnte. Auch hier gibt es ein Hindernis: „Ich soll eine Arbeitsplatzerprobung in Düren ablegen. Erst danach gibt das Rentenamt die Zustimmung für den Fahrdienst. Von Hüls bis Fichtenhain müsste ich zweimal umsteigen, was nicht geht. In Düren gibt es erst nächstes Jahr Termine. Nur: Ich bin doch nicht arbeitslos, ich habe einen Arbeitsplatz, was soll das alles?“

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