Krefeld Akustikexperte über Silvester: Nicht jeder mag’s, wenn’s knallt

In der lautesten Nacht des Jahres spricht kaum jemand von Lärm. Alles eine Gefühlssache, weiß Akustikexperte Bernd Driesen aus Krefeld.

Krefeld: Akustikexperte über Silvester: Nicht jeder mag’s, wenn’s knallt
Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Auf 110 Dezibel kommt ein Sektkorken, wenn er aus der Flasche knallt. Auf bis zu 135 Dezibel bringt es eine Silvesterrakete bei der Explosion in einem Meter Entfernung. Damit ist sie etwa so laut wie ein Pistolenschuss, und doch würde kaum jemand ein krachendes Feuerwerk als Lärm empfinden. Gleiches gilt für den Korken, dessen Schallentwicklung mit dem Start eines Passagierflugzeugs beim Starten oder einem Presslufthammer bei Straßenbauarbeiten vergleichbar ist.

Die Nacht des 31. Dezember ist die wohl lauteste des ganzen Jahres. Aber welche Geräusche als Lärm wahrgenommen werden, ist eben häufig Gefühlssache. Das hat Bernd Driesen, Diplom-Ingenieur mit Spezialgebiet Schalltechnik, Raum-, Bauakustik, Umweltlärm und Lärmbekämpfung, in seiner beruflichen Laufbahn feststellen können. Grundsätzlich spricht er in Gutachten eigentlich „nur von Geräuschemissionen, nicht von Lärm“. Auch ein Sinfoniekonzert sei ein sehr lautes Geräusch. „Das wir aber eben als positiv empfinden. Geräusche werden dann zu Lärm, wenn wir sie als negativ empfinden“, sagt der 71-jährige Fischelner. Wobei auch das von vielen sicher eher als angenehm eingeordnete Rauschen eines Wasserfalls den Nerv töten kann, „wenn der direkt neben dem Hotelzimmer liegt und den Schlaf stört“.

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Um Menschen rasend zu machen, ist aber nicht immer die Lautstärke entscheidend. Die Grenzwerte, nach denen sich unter anderem das NRW-Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) richtet, sehen fünf Zonen vor (siehe Kasten). Dabei gehört ein tropfender Wasserhahn mit 20 Dezibel Schallpegel noch zum „ruhigen Bereich“, ein brummender Kühlschrank mit 40 Dezibel zum „üblichen Tagespegel im Wohnbereich“ und normale Gespräche mit 60 beziehungsweise Rasenmäher mit 70 Dezibel zum Belästigungsbereich.

„Gerade in diesem Belästigungsbereich spielt die Psyche eine große Rolle“, sagt der Experte. „Wenn ich mir eine schicke Eigentumswohnung für 300 000 Euro gekauft habe und höre dann was von den Nachbarn, sind das keine schlimmen Geräusche, sie werden aber so empfunden“, so Driesen. „Selbst wenn die Grenzwerte eingehalten werden, kann man sich belästigt fühlen.“ Er selbst werde immer nur gerufen, wenn sich jemand zum Beispiel von Nachbarn belästigt fühle. „Aber aus privater Erfahrung weiß ich auch, dass es Menschen gibt, die die Geräusche der Nachbarn als positiv empfinden, froh sind, wenn sie im Haus etwas hören.“ Sich deshalb also zum Beispiel nicht allein fühlen.

Was die unterschiedliche Einschätzung von Geräuschen angeht, gibt Driesen auch zu Bedenken, dass auf der einen Seite zwar Grenzwerte festgelegt sind mit einer Hörschwelle bei null Dezibel. „Aber es gibt auch Menschen, die weit weg vom Durchschnitt hören können. Es kann also sein, dass Leute drunter liegen und dort schon etwas hören können oder sehr sensibel für tiefe Frequenzen sind“, berichtet der gebürtige Ratinger und vergleicht das mit dem überdurchschnittlich entwickelten Geruchssinn beispielsweise von Parfümeuren.

Hinzu käme die Möglichkeit, „dass Menschen zum Beispiel ein Rauschen hören, obwohl es überhaupt keine technische Quelle, keine Nachbarn, die etwas an- oder abstellen gibt“. Solchen Betroffenen könne man praktisch überhaupt nicht helfen. „Hören finde im Kopf statt. Die Ohren sind nur das Messgerät.“ Wenn Spezialisten mit ihrer Messtechnik nichts feststellen könnten, sei nichts zu machen. „Und die Technik hat sich ja in den vergangenen 30 Jahren unheimlich gewandelt“, betont der Diplom-Ingenieur, der ein Studium als Maschinenbauingenieur gemacht hatte und zunächst im Strömungsmaschinenbau arbeitete, dann aber Mitte der 1970er-Jahre die Branche wechselte und das Akustik-Handwerk in einem Beraterbüro in Düsseldorf lernte, bevor er sich 1982 selbstständig machte.

Im Gegensatz zur Handhabe bei offiziellen Gutachten stehe auf seiner Visitenkarte bewusst das Wort Lärmbekämpfung. „Ich sehe das durchaus kämpferisch“, sagt er. „Es ist ein Kampf, weil Lärm etwas ist, dem man ungeschützt ausgesetzt ist.“ Das Bewusstsein müsse geschärft werden, sich so lärmarm wie möglich zu verhalten, ob nun Nachbarn oder Motorradfahrer auf der Kölner Straße, an der der Ingenieur wohnt.

Es sei technisch so unwahrscheinlich viel passiert, damit das einzelne Auto, der Lastwagen, das Flugzeug oder die Industrieanlage leiser sei. „Aber insgesamt nimmt die Zahl der Belästigten nicht ab, das zeigen Erhebungen des Statistischen Bundesamts.“ Denn gleichzeitig sei der Verkehr stärker geworden. „Wir sind Opfer der wachsenden Mobilität“, so Driesen, „der Verkehrslärm ist das größte Problem.“

Jede Stadt, auch Krefeld, habe einen Lärmaktionsplan. „Aber ich bezweifle oft, dass das von Politikern ernst genommen wird.“ Lärmschutz werde nur wirtschaftlich betrachtet, bezieht er sich auf Beispiele wie den Ausbau der Autobahn 57. Einen Tunnel wie den Rheinufertunnel in Düsseldorf hätte er für sinnvoll gehalten. In Krefeld hätte man die Aufenthaltsqualität im Umfeld steigern, den so gewonnenen unbebauten Streifen für eine städtebauliche Verbesserung nutzen und die Stadtteile wieder zusammenwachsen lassen können. „Aber Straßen.NRW sagt zur A 57 nur, ein Tunnel kostet mehr, also machen wir das nicht.“

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