Meinung Akademisierungswahn(-sinn)

Krefeld. 3040 Handwerksbetriebe mit fast 100 Berufen in 50 Branchen und 21 000 Beschäftigten spielen eine bedeutende Rolle für Krefeld. Das Handwerk ist Garant für eine im internationalen Vergleich beneidenswert niedrige Jugendarbeitslosigkeit, das duale System gilt als geniales Werkzeug.

Meinung: Akademisierungswahn(-sinn)
Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Schlimm, dass es durch den ungesunden gesellschaftlichen Anspruch an eine hohe Akademisierungsquote derart geschwächt wird. Es gibt Gymnasien in Krefeld, die lassen das Handwerk erst gar nicht rein.

Das ist doch Wahnsinn. Wirtschaftsprofessor Julian Nida-Rümelin nennt das Akademisierungswahn. Und hat bitter Recht. Der Fachkräftemangel ist Folge bildungspolitischer Irrwege und pädagogischer Arroganz. Natürlich muss die Schulform Gymnasium den Anspruch führen, ihre Schüler fit zu machen für ein Studium. Am liebsten in Krefeld. Dieses Ziel darf aber nicht zum Selbstzweck verkommen. Die Durchlässigkeit muss gegeben sein, das Angebot für Gymnasiasten breit, die Wahlmöglichkeit groß. Schuld an einer Studienabbrecher-Quote von sagenhaften 40 Prozent tragen aber auch viele Eltern und Schüler selbst.

Bevor eine Haupt- oder Realschule in Betracht gezogen wird, gehen Kinder ohne Gymnasialempfehlung in den Gemischtwarenladen Gesamtschule, in der Hoffnung auf ein Happy End mit Abitur. Oder wenigstens Fachabi. Und wer die Hochschulreife irgendwie erreicht hat, der muss auf jeden Fall studieren. Das ist verantwortungslos. Und eine Ausbildung fürs Arbeitsamt. Wer nämlich einmal den Akademikerweg eingeschlagen hat, der findet in der Regel kaum zurück in sogenannte einfache Berufe. Gern nach dem Motto: Gut, dass es Klempner, Dachdecker und Frisöre in Krefeld gibt, aber das ist was für weniger Schlaue. Und das wiederum ist ziemlich dumm.

Die immer noch starke hiesige Industrie und eben auch das Krefelder Handwerk bieten jede Menge Qualifizierungs-chancen für junge Menschen und Quereinsteiger, Karriere bis hin zum Meister nicht ausgeschlossen. Fachkräfte werden dringend gesucht, eine gute schulische Bildung ebnet in den komplizierter werdenden Berufsfeldern den Weg. Und natürlich sind auch die Betriebe selbst in der Pflicht, sich aufgeschlossen, modern und flexibel zu präsentieren.

Abstauben ist angesagt, jede Firma, und sei sie noch so klein, muss mindestens im Zeitalter 2.0 angekommen sein, die jungen Menschen dort abholen, wo sie nun mal sind. Im Internet, in sozialen Netzwerken. Verantwortung übernehmen, viele tun das, noch mehr tun es nicht. Nur jeder fünfte Handwerker bildet aus, das ist bei allen dazugehörenden Anstrengungen erschreckend.

Im Grunde wollen Schulen und Betriebe dasselbe: das Beste für die jungen Menschen und sich selbst. Wer intensiv und ehrlich miteinander spricht, anstatt mit dem Finger aufeinander zu zeigen, der kann das schaffen.

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