Abschiedstränen bei Aschenputtel

Im Baytreff ist das Weihnachtsmärchen am Sonntag zum letzten Mal aufgeführt worden. Die Zukunft der Truppe ist ungewiss.

Uerdingen. Als der letzte Vorhang zum Weihnachtsmärchen Aschenputtel im Baytreff gestern fällt, gibt es im Ensemble und bei den Zuschauern nicht nur Freudentränen. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, ist der letzte Vorhang auch der Allerletzte gewesen. Der Saal für das seit 61 Jahren alljährlich dargebotene Weihnachtsmärchen der Laienspielgruppe Bayer steht im nächsten Jahr nicht mehr zur Verfügung. Damit ist auch die Existenz der Laienspielgruppe bedroht.

Abschiedstränen bei Aschenputtel
Foto: Dirk Jochmann

Bislang sucht sie vergeblich nach einer neuen Spielstätte, die auch genügend Nebenräume bietet. Im Baytreff auf der Duisburger Straße hat es neben der großen Bühne Werkstätten für die Schreiner, die Näherei und auch Räume für die Lagerung der Kulissen und Requisiten gegeben. Noch will die Laienspielgruppe, die 1956 von Auszubildenden der Bayer AG Uerdingen gegründet wurde, nicht aufgeben. Deshalb hat sie sich tapfer auf „Aschenputtel“ konzentriert und will im neuen Jahr überlegen, wie es weitergehen könnte.

Am Sonntag gegen 18.30 Uhr wird das Ensemble nach der letzten Vorstellung von einem begeisterten und anhänglichen Publikum beklatscht und gefeiert. Die Akteure beißen die Zähne zusammen und treffen sich wenig später zur Premierenfeier. Alle haben an diesem Abend Tränen in den Augen. Sie erinnern sich: Über Hunderttausend Besuchern hatte man in vielen Jahren vor Weihnachten eine Freude gemacht, seit 1994 im jetzt aufgegebenen Baytreff. In dem Gebäude war bis 1975 der Kathreiner-Malzkaffee hergestellt worden, danach diente es bis 1994 als Lager für die Bayer-Schreinerei.

Die zwanzig Laien-Darsteller haben sich auch diesmal wieder hervorragend in die Aschenputtel-Geschichte eingebracht. Jill Königs als Aschenputtel strahlte „wie ein Honigkuchenpferd“, als der Prinz sie endlich in seine Arme schloss. Vorn im Saal die vielen Kinder, weiter nach hinten die Eltern und Großeltern, viele aus der „Bayer-Familie“.

Die geschickte Regie hatte durch Musik die einzelnen Sequenzen unterbrochen, und die gebannt zur Bühne schauenden kleinen Zuschauer konnten zwischendurch aufatmen. Nach grausamen Spiel der Stiefmutter siegte zu guter Letzt endlich das Gute — großer Beifall. Seit 2010 führt Matthias Oelrich (Jahrgang 1943, geboren in Stettin) Regie. Er ist für den plötzlich verstorbenen Bernd Hoffmann eingesprungen. Jetzt hat er seine achte „Produktion“ mit der engagierten Laienspielgruppe beendet. Der begabte Theatermann kam 1997 von Trier nach Krefeld. Bis 2013 stand er auf der Bühne des Theaters Krefeld-Mönchengladbach. Eine große Fangemeinde schätzte den Mimen. Jeweils nach Weihnachten suchte er ein neues Märchen, meist von den Gebrüdern Grimm, aus. Sein erstes war das eher unbekannte Märchen „Die kluge Bauerntochter“. „Für Aschenputtel habe ich drei Wochen gebraucht, dann stand das Drehbuch“, erzählt er. Oelrich, der sich sehr lobend über seine Laienschauspieler ausspricht, hat die Texte den 20 Rollenträgern (ein Drittel Kinder) sozusagen „auf den Leib“ geschrieben.

Nach den Sommerferien wurde jeweils samstags von 10 bis 14 Uhr geprobt. Den Unterschied zu den Profi-Schauspielern beschreibt er so: „Profis werden andauernd kritisiert, das bringt sie weiter. Laien jedoch muss man loben, dann wachsen sie über sich hinaus“. Auch für Oelrich ist es ein Aus. Damit endet seine über 50-jährige Bühnen-Arbeit.

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