Würdiger Ersatz für erkrankten Virtuosen

Der Pianist Benjamin Moser sprang im Schumann-Saal für seinen Kollegen Nikolai Tokarev ein.

„Besetzungsänderung“ steht auf einem Schild schon am Eingang des Museums Kunst-Palast. Manch Konzertbesucher macht da ein langes Gesicht. Denn bei einem Klavier-Solo-Abend bedeutet die Umbesetzung eine Änderung von 100 Prozent. Der russische Pianist Nikolai Tokarev ist erkrankt. Für ihn sprang nun der deutsche Kollege Benjamin Moser ein. Eckart Schulze-Neuhoff, Leiter des Schumann-Saals und Programmchef der Musikreihen, hatte kürzlich Moser mit Modest Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“ gehört und sei ganz angetan gewesen, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung.

Und so konnte der Hauptteil des ursprünglichen Programms beibehalten werden: die „Bilder einer Ausstellung“ live zu computeranimierten Bildern des russischen Malers und Grafikers Wassily Kandinsky. Nicht für jeden mag die Aufrechterhaltung des größten Programmteils ein Trost gewesen sein, denn Tokarev hat seine Fans. Trotzdem blieben die allermeisten Ankömmlinge auch da, wollten sie sich nicht zuletzt umsonst durch die winterlichen Routen zum Ehrenhof gekämpft haben.

Moser mag nicht ganz so populär sein wie Tokarev, ein ebenbürtiger Pianist ist er schon, wenn auch von der Art ganz anders. Moser, Spross einer Musikerfamilie — seine Tante ist die legendäre Sopranistin Edda Moser, der Bruder, Johannes Moser, international bekannter Cellist — spielt nicht so extrovertiert und offensiv wie das Pianisten-Geschoss Tokarev, sondern wirkt mehr wie ein Tasten-Tüftler.

Technisch erweist sich Moser als vollkommen souverän. Vor der Pause spielt er Werke von George Gershwin und Sergej Rachmaninow in glitzernden Bearbeitungen des US-amerikanischen Tastenlöwen Earl Wild (1915-2010) lupenrein und kontrolliert. Aber Moser besitzt andererseits kaum Showtalent und neigt zum brav-akademischen Umsetzen des Notentextes. Nichts fällt unter den Tisch, aber am Ende fehlen vor allem bei Gershwin der letzte Kick und die Klangzauberei.

Bei den „Bildern einer Ausstellung“ kann Moser aber vollends überzeugen. Das Werk besitzt ja auch etwas mehr musikalischen Ernst als Salonstücke eines Earl Wild. Schon die Promenade, ein Präludium, das immer wiederkehrt und sozusagen das Wandeln des Ausstellungs-Besuchers von Bild zu Bild ausdrücken soll, gelingt klanglich erlesen, prunkvoll, aber nicht übertrieben aufgedonnert. An virtuosen Stellen wie der „Hütte auf Hühnerkrallen“ oder dem rasanten Treiben auf dem Marktplatz Limoges, wo Marktweiber erregt Neuigkeiten weiter tratschen, hat Moser die Ruhe weg und bewältigt die Klippenstrecke mit Gelassenheit. Prachtvoll zelebriert er zum Schluss die musikalische Illustration des „Großen Tores von Kiew“. Für den starken Beifall gab es eine zarte Zugabe: das Eröffnungsstück aus Robert Schumanns „Kinderszenen“.

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