Düsseldorf-Derendorf Ulmer Höh': Ein Knast ohne Häftlinge

Wo seit über 100 Jahren Häftlinge ihr Dasein fristeten, stehen heute alle Türen weit offen: Die Ulmer Höh’ verfällt zusehens.

Düsseldorf. Wer einen Weg in die Gebäude der alten Justizvollzugsanstalt Ulmer Höh’ sucht, der muss lange suchen. Denn zumindest der hohe Zaun, der das gesamte Gelände umgibt, ist noch weitestgehend in Takt. Nur an einer Stelle haben sich Unbekannte bereits einen Durchgang verschafft, den Zaun durchbrochen, ein Loch geschaffen. Immer zwischen der hohen Mauer und dem Zaun geht es entlang, bis sich irgendwann der Vorhof zwischen den zwei Hauptgebäuden auftut. Weit offen stehen die beiden massiven Tore zu beiden Seiten, als sei das eine Selbstverständlichkeit. Gerade so, als hätten nie Häftlinge sehnlichst darauf gehofft, dass sich diese Tore eines Tages öffnen.

Wer durch das kleinere gelbe Tor zur Rechten geht, der gelangt in den Trakt der JVA, in dem einst straffällige Jugendliche ihr Dasein fristeten. Unrat liegt auf dem Boden des Erdgeschosses herum, Teile alter Möbel, Metallschienen, Plastik-Reste. Und dazwischen ganz viele Glasscherben.

Ulmer Höh': Wie ein Gefängnis zusehens zerfällt
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Ulmer Höh': Wie ein Gefängnis zusehens zerfällt

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Die massiven Holztüren zu den einzelnen Zellen stehen sperrangelweit offen, die Schlösser und Klinken sind entfernt worden. Vereinzelt hängen noch selbst gebaute Schilder an den Türen, auf denen Namen stehen. Der Name Koch steht auf einem dieser Schilder, ein letzter Hinweis auf die jungen Menschen, die einst den jetzt so leeren Zellentrakt bevölkerten. Ansonsten sind die Zellen leer geräumt, lediglich das, was sich nicht bewegen lässt, ist noch vorhanden, Gemauerte Ragale mit gefliesten Ragelböden sind teilweise noch an den Mauern befestigt, die Toilettenschüsseln stehen noch, Rohre sind aber nicht mehr vorhanden. Viele Waschbecken sind abgerissen, oft liegen noch Scherben aus weißer Keramik davon auf den Böden. An einer Pinnwand im Gang hängt ein einst blauer Zettel, der mit der Zeit vergilbt ist. Für ein Soziales Training wird da geworben. Wer Interesse hat, soll sich melden — bis spätestens zum Juni des Jahres 2010.

Eine Etage höher sieht es nicht viel anders aus. Die alte hölzerne Trappe knarrt, wenn man sie herauf geht, einige der Stufen sind locker. Aus Holz ist auch der Boden der schmalen Gänge entlang der Zellen im ersten Geschoss, morsch ist der an einigen Stellen. Am Ende des Ganges im ersten Geschoss befindet sich das alte Wärterhäuschen, die Scheiben sind eingeschlagen. Schalt-Knöpfe liegen heraus gerissen auf dem Boden herum, Kabel schauen aus den Wänden. Ein Bild, das sich im gesamten Gebäude wiederfindet.

Doch der Jugendtrakt ist nur eins der Gebäude des ehemaligen Gefängnisses in Derendorf. Wer den Trakt verlässt und ein paar Schritte weitergeht, gelangt zu einem wesentlich größeren Gebäudekomplex. Durch eine geschlossene Gittertür kann bereits ein Blick in den komplett in gelb gehaltenen Zellentrakt geworfen werden.

Es brennt noch Licht im Inneren, als hätte vor drei Jahren jemand vergessen, auf den Schalter zu drücken. Denn seit Anfang Februar 2012 steht die JVA leer. Ausgezogen sind Häftlinge und Personal, haben im Neubau in Ratingen eine neue Unterkunft gefunden. 30 Bedienstete und Inhaftierte waren damals damit beschäftigt, alle Schlösser auszubauen. Bemüht um eine „positive Ausstrahlung“ habe man sich in der Ulmer Höh’ immer, sagte Bernhard Lorenz im Zuge der Aufräumarbeiten 2012 gegenüber der WZ.

Noch 2006 wurden die Gänge gestrichen. „Und es war immer Leben hier“, sagte Lorenz. Es war die große Besonderheit der Ulmer Höh’: Vom Erdgeschoss bis zum gläsernen Giebel sieht man durch das gesamte Haupthaus. So etwas geht heute wegen des Brandschutzes einfach nicht mehr. Das wird besonders deutlich, wenn man den alten Trakt betritt. Nur weiße Gitter trennen die einzelnen Etagen ab.

Unter dem Dach, in der obersten Etage des größten Gebäudes, befindet sich die alte Anstalts-Kirche. Auch dieser Raum ist vollkommen leer gefegt, die Bänke sind im Zuge des Abbaus entfernt worden. Im Altarraum liegen nur noch Trümmer des einstigen Altars herum, Mauerreste, ein paar Backsteine. Gegenüber führt eine Holztreppe hinauf zur Orgel. Die Treppe steht noch, das Geländer nicht mehr. Die pompöse Orgel wurde in der Kirche stehen gelassen — und ist Vandalismus zum Opfer gefallen. Nahezu alle Orgelpfeifen wurden aus dem Instrument gerissen, liegen nun auf dem Boden herum. Sie sind verbogen und verbeult, einige wurden aus dem Fenster geworfen und liegen nun im Gras des Innenhofes. Lediglich eine Pfeife steckt noch in ihrer alten Halterung.

Vandalismus wie hier hat der Ulmer Höh’ in ihrer Gesamtheit zugesetzt. Vieles wurde zerstört und zerdeppert, mit Graffiti besprüht. Das ist ein Schicksal, was vielen Gebäuden aufwartet, die verlassen werden. Dabei gibt es eigentlich einen Ehrencodex unter den Besuchern der „Lost Places“, der sich Vandalismus verbittet. Doch daran halten sich immer weniger Besucher, immer mehr nimmt Zerstörung an solchen Orten Überhand — bis eines Tages die Abrissbirne vor der Tür steht. Dieses Schicksal steht auch der alten JVA bevor, auf dem Gelände an der Metzer Straße sollen Sozialwohnungen entstehen. Und dafür muss der alte Knast weichen.

Mit ihm werden auch viele persönliche Geschichten verschwinden, von denen noch Gegenstände auf dem Gelände zeugen: ein altes Filmplakat an der Wand oder auch Strichmännchen an der Zellen-Wand.

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