Udo Siepmann im Interview

Udo Siepmann managt die IHK — und ist in seiner Freizeit begeisterter Sternengucker. Ein Gespräch über das Universum.

Herr Siepmann, haben Sie als Kind gerne in die Sterne geguckt?

Siepmann: Oh ja, ich habe als Kind oft die Sterne angeschaut. Das war damals leichter, da der Himmel noch nicht so lichtverschmutzt war — in den 50er Jahren konnte man die Milchstraße oft gut erkennen. Ich habe mich gefragt, ob man all die Sterne zählen kann, so wie es in dem schönen Lied „Weißt du wie viel Sternlein stehen?“ heißt.

Sterne üben seit alters her einen großen Zauber auf Menschen aus. Welche Macht hat man ihnen zugesprochen?

Siepmann: Sterne spielten in der Frühphase der Astronomie in der Mythologie eine große Rolle. Man sah in den Sternen Figuren, auch Gottheiten, denen eine besondere Bedeutung zugesprochen wurde. Wichtiger war aber für die Astronomie auf dem Weg zu einer ernstzunehmenden Wissenschaft, dass sie sich um 3000 Jahre vor Christi von der Mythologie löste und beispielsweise dabei half, Landwirtschaft sinnvoll zu betreiben. Man orientierte sich an den Gestirnen in den jeweiligen Jahreszeiten. Das berühmte Bauwerk in Stonehenge hatte ja u.a. die Funktion, an ihm die Sommer- und die Wintersonnenwende abzulesen. Astronomie war Basis für Kalender sowie für Aussaat und Ernte.

Der Himmel als Messgerät.

Siepmann: Genau.

Astronomie und Astrologie gehörten anfangs zueinander und machten später Karriere im Bildungsbürgertum — parallel zur Aufklärung. Es gibt das berühmte Wort des Universalgelehrten Goethe, wonach die Sterne nicht zwingen, aber geneigt machen. Wenn jetzt zum Jahreswechsel massenhaft Horoskope verkauft werden, offenbart sich erneut das sonderbare Zwitterverhältnis des Menschen zum Firmament.

Siepmann: Sie werden staunen, aber Kepler — nach dem ja nicht nur die Gesetze für den Planetenumlauf benannt sind, sondern der weitere wichtige Entdeckungen gemacht hat — und Galilei haben auch davon gelebt, dass sie erfolgreich Horoskope produziert haben. Heute würde sich kein ernstzunehmender Astronom mehr damit beschäftigen. Es ist gut, dass 2009, genau 400 Jahre nach dem ersten Einsatz eines Teleskopes durch Galilei, das internationale Jahr der Astronomie begangen wurde. Vor allem in weniger entwickelten Ländern konnte mit dem Motto „Das Weltall: Du lebst darin, entdecke es“ ein wissenschaftliches Gegengewicht gesetzt werden. Auch hier bei uns in den Schulen wurde über das Weltbild der Astronomie berichtet.

In der Weihnachtsgeschichte weist ein Stern den drei Königen den Weg zur Krippe. Was sagen die Astronomen dazu?

Siepmann: Man kann ja Ephemeriden, also Planetenlaufbahnen, sehr lange und auf den Tag genau zurückverfolgen. Die gängige Version lautet: Es wird eine besondere Konstellation von hell leuchtenden Planeten gewesen sein, also Jupiter und Saturn, die im Jahre 7 v. Chr. mehrfach eng beieinanderstanden — und vielleicht in der Nähe des vermuteten Geburtsdatums ein Komet. Kometen sind aber schwerer nachzuweisen, denn die tauchen manchmal aus den Tiefen des Sonnensystems auf und brauchen mehrere hundert oder tausend Jahre, bis man sie wieder sieht.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Astronomie?

Siepmann: Sie ist für mich ein Teil der Work-Life-Balance. Ich befasse mich mit einiger Leidenschaft mit ökonomischen Fragen, aber der Ausgleich im naturwissenschaftlichen Bereich ist für mich ein wichtiger Lebensinhalt geworden. Vielleicht hole ich auch nach, was ich in jungen Jahren versäumt habe — ich habe einst überlegt, Physik zu studieren. Heute macht es mir Spaß, in Büchern und Zeitschriften für den geneigten Amateur nachzuvollziehen, wie der Stand der Forschung ist. Der ist leider im Grenzbereich der Astronomie ähnlich desolat wie in der Ökonomie, nämlich dass man nichts Genaues weiß — und von dem, was im Universum ist, nur fünf Prozent erklärte und sichtbare Materie sind. Der Rest ist dunkle Materie, deren Zusammensetzung wir nicht kennen, und dunkle Energie, die dafür sorgt, dass das Universum noch expandiert — sogar beschleunigt. Wir tappen da wirklich im Dunkeln, ähnlich wie in der Ökonomie, die vor den Phänomenen, die uns aktuell Sorge bereiten, fast kapituliert.

Was kann denn ein semiprofessioneller Astronom heute erreichen?

Siepmann: Erstaunlich viel. Ich bin Mitglied der Walter-Hohmann-Sternwarte in Essen, und dort entdecken Mitglieder sogar neue Kleinplaneten.

Sie auch?

Siepmann: Nein, darauf liegt nicht mein Fokus. Ich bin begeisterter Astro-Fotograf, ein Gebiet, das mit Optik, Feinmechanik und Computerei beginnt und mit Bildverarbeitung endet. Wir können mit der fotografischen Technik, die uns heute zur Verfügung steht, ähnlich gute Fotos machen wie vor 15 Jahren die professionelle Astronomie.

Welches Motiv war denn bei Ihnen am weitesten entfernt?

Siepmann (zeigt auf zwei Fotos in seinem Regal): Es ist ja nichts Besonderes mehr, eine solche Galaxie aufzunehmen, die um die 60 Millionen Lichtjahre entfernt ist, das heißt, das Licht ist dort entsandt worden, als hier gerade die Dinosaurier ausgestorben sind. Oder die Andromeda dort, unsere Nachbargalaxie: Das heute hier ankommende Licht ist gut zwei Millionen Jahre alt, und dort abgestrahlt worden, als bei uns vermutlich gerade ein Primat den aufrechten Gang erprobte.

Sie machen mit dem Fotoapparat also Reisen in die Vergangenheit.

Siepmann: Ja, und die Profis können aus solchen Beobachtungen auf die Entwicklungsgeschichte unseres Universums schließen, das ist die Kosmologie, mein besonderes Steckenpferd. Man muss sich immer bewusstmachen, dass unser Blick ins Universum uns dieses nie zeigt, wie es „wirklich“ ist, weil es uns die Objekte zu unterschiedlichsten Zeitpunkten zeigt. Das Licht hat eine endliche Signalgeschwindigkeit — das klargemacht zu haben, ist das große Verdienst von Albert Einstein.

Sie sprachen eben das Weltbild der Astronomie an. Wie sieht es aus?

Siepmann: Bis Kopernikus war die Erde der vermeintliche Mittelpunkt des Universums. Er hat erkannt, dass die Erde wie die anderen Planeten die Sonne umkreist. Dann hat es bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts gedauert, bis man zu einer grundsätzlich neuen Version des Weltbilds kam. 1923 ist Hubble der Nachweis gelungen, dass eines der Nebelfleckchen, die er in seinem Teleskop sah — die Andromeda —, eine eigenständige Galaxie ist. Danach konnte man auf frühere Beobachtungen aufbauen, auf Kataloge dieser Nebelfleckchen. Im Verlauf des Jahrhunderts kristallisierte sich die Erkenntnis heraus, dass wir in einer von mindestens 100 Milliarden Galaxien im sichtbaren Teil des Universums leben. Und wir haben eine Sonne als Zentralstern, und diese ist nur eine von mindestens 100 Milliarden Sonnen, also Sternen allein in unserer Galaxie, und sie hat dort keine exponierte Stellung.

Das Bild von der Krone der Schöpfung erhält gewisse Kratzer.

Siepmann: Diese Erkenntnisse relativieren unser Weltbild enorm, manche haben sogar von einer Demütigung der Menschheit gesprochen. Anders gesagt hilft die Astronomie, sich einmal gedanklich zurückzunehmen und zu fragen, was wir auf diesem Planeten in diesem riesigen Universum für eine Bedeutung haben.

Wie lautet Ihre Antwort?

Siepmann: Wir sind im universellen Maßstab unbedeutend, wodurch sich die meisten Astronomen nicht gedemütigt fühlen, sondern was sie mit Demut erfüllt. Man kann es mit einer Ameise vergleichen, die, wenn sie Bewusstsein hätte, durch die Sahara marschiert und sagt: Mein Gott, ist das unermesslich groß. Was hinzukommt: Die Expansion des Weltalls bedeutet, dass das Universum einer Evolution unterliegt. Sterne werden geboren und vergehen, wenn sie ihren Brennstoff, den Wasserstoff, zu Helium umgewandelt haben. Sie enden dann je nach Masse, als Neutronenstern oder Weißer Zwerg oder als schwarzes Loch.

Der Mensch hat ja gerne Bestand. War diese Erkenntnis für Sie kein bisschen frustrierend?

Siepmann: Nein, ich habe eine völlig neue Sichtweise auf unseren Planeten bekommen. Man muss sich klarmachen: Er ist nichts Besonderes! Aber er ist für uns ungeheuer wertvoll, weil wir ihn wohl nie verlassen können, um eine andere lebenswerte Welt zu finden. Wir leben in der habitablen Zone, nah und gleichzeitig weit genug entfernt von unserer Sonne, die genug Brennstoff hat, um eine Evolution zu ermöglichen. Es gab vor uns auf der Erde Evolutionen, und es folgen uns vielleicht welche — hier oder woanders im Universum. Unsere Sonne hat eine Lebensdauer von zehn Milliarden Jahren, davon ist ungefähr die Hälfte verbraucht.

Wie lange geben Sie uns denn noch?

Siepmann: Wenn kein großer Asteroid vorher das Leben auf der Erde zerstört, was über sehr lange Zeiträume betrachtet keinesfalls unwahrscheinlich ist, hängt unser Schicksal am Ende der Sonne. Sie wird in einem so genannten Roten Riesen enden. Ihre äußere Hülle wird expandieren und voraussichtlich zwischen Erde und Mars zum Stehen kommen. In einigen Milliarden Jahren entstehen folglich Temperaturen, die das Wasser verdampfen lassen und dem Leben auf der Erde ein Ende setzen. Von der Sonne bleibt nur noch ein weißer Zwergstern, das ist das Szenario — das wir kennen von vergleichbaren Sternen ähnlicher Größenordnung mit ähnlicher Masse.

Wenn man in diesen Dimensionen denkt, ist dann für Sie das Scheitern der Umweltgipfel wie zuletzt in Durban nachvollziehbar?

Siepmann: Ich persönlich würde es so halten: Wenn ich nicht weiß, ob die Bremse in meinem Fahrzeug hundertprozentig funktioniert, dann würde ich nicht mit 100 km/h auf eine Wand zufahren. Das spricht für unsere globale und gemeinsame Verantwortung für das Weltklima.

Die Ameise hat eben in Ihrer Antwort Gott erwähnt. Gibt es für Sie einen Zusammenhang von Astronomie und Theologie?

Siepmann: An diesen Punkt gerät man früher oder später. Ich bin kein Freund davon, wenn eine Wissenschaft bei der Erklärung von Phänomenen, sobald sie nicht weiter weiß, Anleihen bei der Religion nimmt. Am Ende ist es unabhängig von dieser Frage wohl für die meisten Menschen so: Was ich sehe, die Schöpfung, das Universum, das flößt mir Ehrfurcht ein.

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