Tragödie in Golzheim: Die Eltern waren verzweifelt

Das Hilfenetz für Familien ist in Düsseldorf gut – aber belastete Eltern müssen die Hilfe auch suchen.

Düsseldorf. Vor dem Mehrfamilienhaus an der Mauerstraße ist an diesem Freitagmittag der große Medienrummel ausgebrochen. TV-Kameras und Fotoapparate sind auf die Fenster der Wohnung gerichtet, in der ein Paar den gemeinsamen vierjährigen Sohn und dann sich selbst tötete.

Ansonsten wirkt die Straße fast gespenstisch normal und sonnig. Um die Ecke sitzen die Mitarbeiter des Landesbetriebs Information und Technik mit Kaffee in dem kleinen Park, genießen die sonnige Mittagspause.

Nadja Wagenfeld lebt seit Mai in dem Haus, vor dem sich die Kameras postiert haben. "Ich habe die Frau oft beim Einkaufen gesehen - sie war eine normale junge Frau wie ich." Den 44-jährigen Ehemann habe sie nie gesehen, auch nicht das Kind. Die 29-Jährige schüttelt den Kopf - sie hat selbst zwei Kinder.

Eltern, die ihr Kind töten - obwohl es die Schlagzeilen immer wieder gibt, scheint es immer wieder unmöglich. "Aber es kommt vor, dass Eltern eines schwerkranken Kindes verzweifeln", weiß Rainer Strauß, der im Kinderhospiz Regenbogenland todkranke Kinder und ihre Familien betreut.

"Es gibt Eltern, die mit dem Gesamtpaket der Belastungen nicht klarkommen." Das Leiden des Kindes sei dabei nur einer von verschiedenen Faktoren. Mitunter kämen finanzielle Nöte hinzu, weil die Pflege des Kindes aufwändig sei. "Und oft zieht sich das soziale Umfeld von den Familien zurück", sagt Strauß.

Im Hospiz sei es deshalb wichtig, den Eltern Gelegenheit zu geben, über ihre Gefühle und Sorgen zu sprechen. Aber auch Ausflüge und Veranstaltungen würden angeboten, um den Kreislauf eines Lebens, das sich oft nur noch um die Krankheit des Kindes dreht, wenigstens ab und zu zu durchbrechen.

Allein sein muss in Düsseldorf eigentlich keine Familie mit ihrer Verzweiflung. "Das Hilfenetz ist sehr gut", glaubt Strauß. Aber die Betroffenen müssten aktiv werden und die Hilfe annehmen. "Erst wenn ich es selbst wirklich will, kann ich etwas verändern."

Diese Einsicht verlangt jedoch Kraft, die das Ehepaar aus Golzheim nicht aufbringen konnte. Es hatte sich wohl schon zu weit von einer pragmatischen Daseinsbewältigung entfernt. "Ein solcher Rückzug ist nur mit einer schweren Depression zu erklären", sagt Stefan Drewes, Psychologe bei der Stadt Düsseldorf.

Er sagt: "Man darf jetzt Angehörige, Freunde und Nachbarn nicht aus den Augen verlieren. Sie sollten Gesprächsangebote suchen, um sich von möglichen Schuldgefühlen zu befreien. Nur so gelingt es ihnen, zu trauern."

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