Interview Tonhalle Düsseldorf: Der einsamste Wal der Welt trifft Kinder

Komponist Bojan Vuletic hat Musik über einen besonderen Meeresbewohner komponiert. Er sprach mit uns vor der Uraufführung am Sonntag über sein Werk.

Interview: Tonhalle Düsseldorf: Der einsamste Wal der Welt trifft Kinder
Foto: Emanuela Danielewicz

Düsseldorf. Es gibt einen Wal, der von seinen Artgenossen nicht verstanden wird, weil er anders singt als sie — nämlich auf einer Frequenz von 52 Hertz. Er schwimmt immer alleine. Seine besondere Geschichte wird am Sonntag, 24. Juni, bei dem Familienkonzert in der Tonhalle in Form eines symphonischen Werkes seine Uraufführung erleben. „52 Hertz oder der Einsamste Wal der Welt“ heißt das Stück des Komponisten Bojan Vuletic, bei dem neben den Düsseldorfer Symphonikern, dem Dirigenten Andreas Fellner und dem Erzähler Martin Baltscheit vor allem der Kinderchor der Akademie für Chor und Musiktheater im Fokus stehen wird. Jener nimmt übrigens bei der Komposition eine besondere Rolle ein, die eines Fischschwarms.

Bojan Vuletic erzählt uns im Gespräch, welche Geiheimnisse das Werk noch in sich birgt und wieso er Kindern mit seiner Musik auf Augenhöhe begegnen möchte.

Wir haben jetzt gerade die Proben mit dem Kinderchor gehört. Was war die Idee hinter diesem Stück?

Bojan Vuletic: Tonhallendirektor Michael Becker hatte über diesen Wal, den es tatsächlich gibt, gelesen. Ein Wal, der auf Frequenzen spricht, die fast doppelt so hoch sind wie die seiner Artgenossen. Und bei diesem Wal ist auffällig, dass er immer alleine schwimmt. Er wird von Wissenschaftlern immer wieder beobachtet und diese haben festgestellt, dass er einsam lebt, weil er zu hoch spricht. Das ist eine unglaubliche Metapher. In dem Augenblick, als die Konzertpädagogin der Tonhalle Ariane Stern mich gefragt hat, ob ich mir da was vorstellen könnte, hat es für mich „klick“ gemacht.

Welche genau waren Ihre Ideen?

Vuletic: Diese Unterwasserwelt sollte musikalisch eine unglaublich farbenfrohe Welt sein, eine bunte Welt, wo es ganz viel Fremdes gibt und vielleicht auch die Möglichkeit, begeistert zu sein — eine Musik mit vielen Überraschungen, bei der die Motive für die unterschiedlichsten im Meer lebenden Wesen sehr polyphon dargestellt werden. Für die Entwicklung der Geschichte bin ich sehr glücklich, dass der Autor Martin Baltscheit — von ihm stammt das Buch und er ist der Erzähler — Lust dazu gehabt hat. Denn das ist schon ein künstlerisches Abenteuer, eine Geschichte, die in einer Konzertsituation erzählt wird. Die Sprache ist Teil der Partitur.

Sie haben ein Melodram gemacht, also ein Werk, bei dem Musik und gesprochener Text sich abwechseln und verschmelzen?

Vuletic: Es ist in der Tat eine Geschichte. Wobei der Text immer mehr verknappt wurde. Für mich hat es etwas sehr Lyrisches.

Lassen Sie uns gerne über die Geschichte sprechen.

Vuletic: Wir brauchen eine Perspektive auf das Meer. Und diese Perspektive — das war eine wirklich großartige Idee von Martin Baltscheit — war, dass es einen Soldaten gibt, der nichts anderes tut als mit Kopfhörern in das Meer hineinzuhorchen. Mit einem Hydrophon versucht er zu hören, ob da jetzt das feindliche U-Boot kommt oder nicht. Der Soldat hat eigentlich eine debile Aufgabe, doch nimmt er das ganze Universum des Meeres als eine reiche, vielfältige Klangwelt wahr. Und er ist es, der den Wal immer wieder hört und erkennt. Bei uns hat der Wal noch eine kleine Besonderheit, die musikpädagogisch sehr wertvoll ist. Der Wal spricht bei uns erstmal ganz hoch, dann kommt er in den Stimmbruch. Dann verstehen ihn auch andere Wale und dann sinkt seine Stimme so tief, dass ihn die anderen Wale wieder nicht mehr verstehen können. Das ist natürlich musikalisch eine Steilvorlage — die Walstimme wandert in den Blechbläsern von der Piccolotrompete bis zur Kontrabasstuba hinunter.

Schreibt man anders für Kinder als für Erwachsene?

Vuletic: Nein. Ich bin der Überzeugung, dass man Kindern auf Augenhöhe begegnen muss. Ich bin allergisch, wenn ich höre, wenn etwas in Anführungsstrichen „für Kinder“ gemacht wird. Ich finde Kinder können sehr viel verstehen. Sie können abstrakte Klänge greifen und etwas in ihren Köpfen dazu addieren. Wichtig ist der Zugang, dass man die Menschen — groß und klein — an einer bestimmten Stelle abholt, mitnimmt, und dann kann man die tollsten Abenteuer erleben. Das ist meine tiefe Überzeugung.

Sie schreiben so wie Sie immer schreiben?

Vuletic: Ich bin nicht einer der Komponisten, die immer das gleiche Stück komponieren — jedes Thema eine eigene Welt.

Wie würden Sie ihre stilistischen Paradigmen bezeichnen?

Vuletic: Ich denke sehr polyphon. Wenn man ein Nebeneinander von starken musikalischen Ideen hat, das eigentlich fast nicht mehr möglich wäre, entsteht Reibung, die mich immer interessiert.

Sie gehen mit harmonischer und melodischer Ambiguität um. Liege ich da richtig?

Vuletic: Wo wird es spannend? Das ist der springende Punkt und das Wort Ambiguität trifft ziemlich genau.

Nach dem Familienkonzert am Sonntag, 24. Juni, 11 Uhr in der Tonhalle, Ehrenhof 1, findet zudem das „Große Familienfest — ein Fest der Musikkulturen Düsseldorfs“ statt.

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