Tatorte in Düsseldorf —weiterleben, wo Leben endete

Im Umfeld eines schrecklichen Verbrechens zur Normalität zurückzukehren, ist für viele Menschen schwierig.

Düsseldorf. Gern spricht Dieter Ulbricht, Manager des Radisson Blu Media Harbour Hotels an der Hammer Straße, nicht über die Bluttat in Zimmer 610. Am 20. Januar wurde dort die Leiche der 25-jährigen Cristina B. gefunden, übersät mit Messerstichen.

Inzwischen sitzt der Freund der Toten, Arif D. (42) in Untersuchungshaft, das Verbrechen ist offenbar geklärt. „Aber das Geschehene ist bei allen Mitarbeitern noch im Hinterkopf“, sagt Ulbricht. Das Zimmer werde noch nicht wieder vermietet. Es scheint schwierig zu sein, das Leben dort weitergehen zu lassen, wo das Leben eines Menschen gewaltsam beendet wurde.

Auch nach Jahren noch. Am 4. Januar 2009 wurde die Leiche der 47-jährigen Claudia D. in einem Hotel in Flingern gefunden. Ein rätselhafter Fall, der monatelange Ermittlungen in der Pension und Vernehmungen der Angestellten nach sich zog.

Die Rechtsmediziner sagen, die Frau starb durch einen Schlag auf den Hals. Doch die Polizei konnte bis heute keinen Verdächtigen ermitteln. Das Zimmer wird inzwischen wieder bewohnt. Die Übernachtungszahlen blieben stabil. Und doch heißt es heute aus dem Hotel bei Fragen zu den Vorfall nur noch: „Kein Kommentar“.

Ein ähnliches Szenario an der Altenbrückstraße, wo 2010 der Rentner Helmut S. (82) und seine Tochter Mara (39) erschossen wurden. Der Stiefsohn von S. hatte die Bluttat in Auftrag gegeben wegen eines Streits um das Erbe, er sitzt lebenslang im Gefängnis. In dem kleinen Haus, welches Schauplatz des Doppelmordes war, werden freundlich Türen geöffnet. Aber zu der Tat will niemand etwas sagen.

Noch immer steht der Familienname der Opfer auf dem Klingelschild, abgeplatzter Lack am Türrahmen zeugt bis heute von dem Klebeband, mit dem die Polizei die Tat-Wohnung versiegelte. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein — und doch wollen die Nachbarn, die das Verbrechen hautnah miterlebten, scheinbar nicht daran erinnert werden.

„Vermeidung ist eines der wichtigsten Kennzeichen eines Traumas“, sagt Psychologie-Professor Reinhard Pietrowsky, der an der Uni Düsseldorf zu diesem Thema forscht. Und traumatisiert könnten nicht nur diejenigen sein, die direkt von einem schrecklichen Verbrechen betroffen waren — sondern auch das Umfeld. „Das erleben wir ja derzeit immer wieder bei Soldaten, die aus einem Kriegsgebiet zurückkehren“, sagt Pietrowsky.

Aber für diese nur indirekt Betroffenen sei es oft noch schwieriger, mit ihrer Angst umzugehen. Weil sie sich selbst gar nicht das Recht zusprechen, Angst haben zu dürfen — schließlich hatte man doch Glück, es waren ja andere, die sterben mussten. „Oft haben sie fast schon Schuldgefühle, dass sie verschont wurden“, erklärt der Professor. „Eine ganz typische Reaktion etwa nach einer Geiselnahme, bei der eine Geisel getötet wird und die anderen überleben.“

Das diffuse Gefühl der Angst kennt auch Ingrid Hermann gut. Fast 15 Jahre ist es her, dass die heute 71-Jährige in einer Julinacht 1997 gegen 3 Uhr von einem dumpfen Knall geweckt wurde — und von ihrer eigenen Fensterscheibe, die aus dem Rahmen fiel.

Ingrid Hermann lebte damals wie heute in der Krahestraße — zwei Häuser neben dem Gebäude, das Besitzer Heinz Nieder sprengen ließ — und in dem in jener Nacht sechs Menschen starben. „Ein junger Mann hatte noch bis 2 Uhr seinen Geburtstag gefeiert“, berichtet die Rentnerin. „Eine Stunde später war er tot.“

Ingrid Hermann erinnert sich noch, dass in dem Baum gleich neben ihrem Garten wochenlang Gardinen und ein Bügeleisen hingen. Und sie erinnert sich, dass Freunde sie nach einem Ausflug bis zur Haustür bringen mussten, weil sie allein nicht an dem klaffenden Loch in der Häuserreihe vorbeigehen konnte.

Anwohner gründeten einen Verein, um das Erlebte gemeinsam zu verarbeiten — doch nach anderthalb Jahren schlief das Engagement ein. Die Tragödie als Grundlage für Zusammenhalt trug nicht. Mit einigen Menschen hat Ingrid Hermann den Kontakt gehalten. „Andere grüßen nicht einmal mehr auf der Straße“, sagt sie. Viele zogen auch weg. „Man wird an solche tragischen Geschichten nicht gern erinnert.“ Als sich aber vor einiger Zeit ein Lkw unter der S-Bahn-Brücke an der Gerresheimer Straße festfuhr und ein lauter Knall ertönte, da stürzten in der ganzen Straße geschockte Menschen zu den Fenstern. „Da sieht man: Es ist immer noch drin“, meint Ingrid Hermann.

Sie ist froh, dass sie geblieben ist. Sie schätzt die ruhige, aber zentrale Straße. Und ihr Vermieter hat ihr Haus und die Nachbargebäude im Stile Hundertwassers komplett renovieren lassen. „Wenn ich heute mit dem Taxi heimfahre und der Fahrer sagt: ,Ach, Krahestraße! Das ist doch die, wo das Gebäude explodiert ist’, dann sage ich: ,Nein, das ist die Straße mit den wunderschönen bunten Häusern“, sagt die 71-Jährige und lächelt. Nach 15 Jahren muss es eben doch einmal weitergehen.

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