Düsseldorf Statt Buch und Ausblick gibt’s heute Handys

In der Straßenbahn sind fast alle mit ihrem Smartphone beschäftigt. Was machen die denn da?

arina (10) lernt per App für den Englisch-Wettbewerb — und Mutter Jasmin telefoniert einfach. Auch das können Handys.

arina (10) lernt per App für den Englisch-Wettbewerb — und Mutter Jasmin telefoniert einfach. Auch das können Handys.

Düsseldorf. Eine Straßenbahnfahrt, das war früher eine Erkundung der Stadt und ihrer Menschen. Da sah man auf der Fahrt mit der U79 Richtung Duisburg das Neubauviertel Einbrungen aus dem Nichts, aus dem platten Feld, wachsen. Auf dem Weg mit der U76 über die Oberkasseler Brücke war Morgen für Morgen das Voranschwappen des Hochwassers zu verfolgen — oder wie die Bäume auf den Rheinwiesen im Frühjahr grün und im Herbst wieder kahl wurden. Und in der Linie 701 über die Nordstraße konnten ganz andere Menschen beobachtet werden als in der 715 über die Gumbertstraße. Heute allerdings ist oft nur zu sehen, bei wem das Haupthaar schon licht wird und wer sich die Haare weiter hinten nicht so akkurat gegelt hat. Gesenkte Köpfe. Gebeugt über ein Telefon — und zu sehen natürlich auch nur, wenn man selbst mal von dieser kleinen rechteckigen Welt in der eigenen Hand aufschaut.

Düsseldorf: Statt Buch und Ausblick gibt’s heute Handys
Foto: J. Michaelis

Die moderne Kommunikation hat das Straßenbahnfahren verändert. Vor allem, indem sie eine Kommunikation in der Bahn selbst fast verhindert. Ein Blickkontakt beim Einsteigen, beim Hinsetzen — eher die Ausnahme. Ein gehöriger Prozentsatz der Passagiere ist eingeigelt in eine abgeschottete Dimension aus Display und Kopfhörern. Und auch die früheren Sozialstudien — wer liest einen Thriller, wer löst ein Kreuzworträtsel — fallen damit weg. Was machen die da eigentlich alle? Wir haben einfach mal nachgefragt.

„Aktuell: arbeiten“, sagt Christina (33), als wir das tun. Ob sie denn nicht im Feierabend sei? „Doch, eigentlich schon ...“ Nach der Elternzeit hat sie gerade wieder einen Teilzeitjob begonnen. „Aber ich komme mit den Stunden gar nicht hin.“ Also tippt sie E-Mails. In vollem Bewusstsein, dass sie das eigentlich gar nicht will. „Ich nehme mir oft vor, in der Bahn einfach mal aus dem Fenster zu gucken. Aber ich schaffe es einfach nicht. Man ist doch mehr mit dem Handy beschäftigt als damit, was um einen herum los ist.“ Los ist da aber auch nicht viel: In der Reihe vor ihr tippt eine Frau auf ihrem Telefon herum, ein blondes Mädchen noch einen Sitz weiter hört Musik über irgendeinen Streamingdienst, das Handy fest in der Hand und im Blick.

In einer 705 Richtung Eller erwischen wir die zehnjährige Zarina und Mutter Jasmin — das Mädchen mit Telefon zwischen den Fingern, Mama mit Telefon am Ohr. Sie selbst nutze es auch nur genau dafür, sagt sie: zum Telefonieren. Aber die Tochter füllt ihre Zeit in der Bahn damit, Fotos zu bearbeiten und den Bildschirmhintergrund ihres Handys kunstvoll zu gestalten. Aber auch mit Bildung: „Morgen ist in der Schule ein Englisch-Wettbewerb. Und ich habe eine App auf dem Handy, mit der ich dafür lerne.“ Schräg gegenüber sitzt die 17-jährige Anne. Sie schreibt gerade eine Nachricht an eine Freundin.

Sehr viel schwerer wiegen die Herausforderungen, denen sich Anna (50) auf der Fahrt über die Berliner Allee stellt. „Ich sammle Eier“, sagt sie, als sie von ihrem Smartphone aufsieht, und lacht. „Aber ich habe gerade alle meine Leben verloren.“ Diverse Spiele hat sie sich aufs Telefon geladen. Morgens schaut sie schon aus dem Fenster — aber jetzt gerade langweilt sie sich einfach. „Manchmal denke ich schon, wie bescheuert das ist.“ Und öffnet das nächste Spiel — eines mit bunten Blasen diesmal.

Nur zwei Meter weiter verrät das niederträchtige Anpirschen von hinten, was Alex gerade so treibt: Die 26-Jährige schaut sich in einem Zeitraffervideo die Herstellung von Frikadellen an. „Ich gucke bei Facebook einfach so durch“, erklärt sie. Sie hat kein Auto, fährt viel Bahn — oft auch ohne Handy in der Hand, beteuert sie. Aber: „Es hilft manchmal, um mit Leuten in Kontakt zu bleiben, für die man im Alltag nicht so viel Zeit hat.“

Das ist typisch, sagt der Düsseldorfer Umweltpsychologe Kai Lenßen — und auch gar nicht mal negativ. Der übermäßige Smartphonegebrauch in der Öffentlichkeit sei eine Möglichkeit der „Privatheitsregulation“: „Damit ist die aktive persönliche Gestaltung von Nähe und Distanz im öffentlichen Raum gemeint“, so der Fachmann. Das könne mit Büchern geschehen, hinter denen man sich sozusagen verschanzt. Oder eben mit Handy.

„Allerdings“, erklärt Lenßen, „können wir mit dem Smartphone gleichzeitig Kontakt zu jemandem aufnehmen, der uns gerade wichtig ist. Das heißt, wir schaffen nicht nur Distanz, sondern gleichzeitig Nähe zu Personen, die uns interessieren. Und sind somit inmitten des Trubels gleichsam privat, intim.“ Auch wenn das auf andere Fahrgäste natürlich ablehnend wirken könne.

Die Straßenbahn ist heute nicht mehr so sehr Erkundung der Stadt, Schaufenster in die Jahreszeiten, Sozialstudie. Aber Spielothek, Englisch-Nachhilfe, Büro. Ein Café, in dem man plötzlich Freunde trifft, an die man ein paar Tage gar nicht gedacht hatte. Ein öffentlicher Raum, aber auch privat. Weil die kleine rechteckige Welt mit ihrem eigenen sozialen Gefüge immer dabei ist. Der Psychologe sagt: Das ist ein Weg zur Selbstbestimmtheit. Allen anderen bleibt ja immer noch der Blick aus dem Fenster. Oder auf gesenkte Köpfe.

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