Stadtteilgeschichte: „Derendorf war der Bauch der Stadt“

Schlachthof, Großmarkt, Milchhof, Brauereien — der Stadtteil ernährte einst ganz Düsseldorf.

Düsseldorf. Die Autorin selbst kann ein Lied davon singen: Gefühlt ist Derendorf der größte Stadtteil Düsseldorfs.

Da sagt man sein Leben lang, man sei Derendorferin — und dann erfährt man irgendwann, dass man mit dem Vinzenz-Krankenhaus in Pempelfort geboren, an der Bankstraße in Golzheim aufgewachsen ist und später am Anfang der Jülicher Straße auch wieder ausgerechnet auf jener — nämlich ungeraden — Straßenseite gewohnt hat, die wiederum zu Pempelfort gehört. Es ist vertrackt in diesem sehr alten Stadtteil.

Der Derendorfer Güterbahnhof? In Pempelfort. Das ehemalige Derendorfer Stadtbad, die Münster-Therme? Ebenda. „Derendorfs“ Traditionsklub BV 04? Eigentlich in Golzheim.

Die schönen Derendorfer Wohnstraßen wie Schwerin- und Zietenstraße? Golzheim. Die neuen Derendorfer Ausgehmeilen Tußmann- und Moltkestraße? Pempelfort. Die Buschermühle, Heiligtum des Heimatvereins Derendorfer Jonges? Düsseltal.

Es ist doch zum Aus-der-Haut-fahren. „Die Grenzen sind zu einem großen Teil willkürlich“, sagt Jan Michaelis, der unter dem Titel „Derendorfer“ Kolumnen über den Stadtteil herausbringt. Auch aus Golzheim und Pempelfort. Dem gefühlten Derendorf eben.

Tatsächlich war Derendorf mal sehr viel größer. Und es ist schon lange da. Urkundlich erwähnt wird es um 1100 zum ersten Mal. Was nicht bedeutet, dass es im damaligen „Therenthorpe“ hochherrschaftlich zuging.

„Der Name heißt ,Dorf in den Büschen’“, erklärt Manfred Hebenstreit vom Heimatverein Derendorfer Jonges. Eine kleine Dorfschaft gab es wohl, Ackerbau, ein paar einfache Gewerke. „Ansonsten war es Modder — unser schönes Derendorf.“

Immerhin wurde die Bauernschaft 1384 — vor fast 630 Jahren — nach Düsseldorf eingemeindet. Übrigens zeitgleich mit Golzheim, aber deutlich nach Pempelfort, jenem reichen Besitz der Familie zu Pempelfort, der schon seit 1288 zur Stadt gehörte.

Die folgenden Jahrhunderte waren durchaus nicht ereignislos. So erhielt Derendorf etwa im 17. Jahrhundert seine erste eigene Kirche am heutigen Münsterplatz, dem Zentrum des damaligen großen Stadtteils — 1890 wurde das Gotteshaus durch einen Neubau an der heutigen Jülicher Straße ersetzt.

Geschichte der Stadtteile

Doch seine eigentliche Bestimmung als „Bauch der Stadt“, wie Manfred Hebenstreit es nennt, erfüllte Derendorf erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Bevölkerung in ganz Düsseldorf explodierte. Und Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Industrialisierung.

Mit Schwabenbräu, der früheren Schlösser-Mutter, die an der Münsterstraße produzierte, der Hirschbrauerei an der Tußmannstraße, die das Düssel-Alt mit dem Radschläger braute, und der Brauerei Dieterich an der Duisburger Straße, die warb mit „Dieterich ist gut für dich“, hatte Derendorf ohnehin alles, was man brauchte, um seine Speisen herunterzuspülen. Und für letztere war mit Schlachthof, Großmarkt und später auch dem großen Milchhof an der Yorckstraße gesorgt.

Derendorf hatte aber auch schon Anschluss an die Eisenbahnlinie. „Und alles, wo Schiene lag, war wichtig“, sagt Jan Michaelis. „Das war entscheidend für die Entwicklung des Stadtteils.“ Denn so siedelte sich weitere Industrie an.

Rheinmetall etwa, der große Rüstungskonzern, der ab 1889 an der Ulmenstraße produzierte. Und der wohl neben der Kaserne, die um 1900 von der Kasernenstraße in der Innenstadt an die heutige Roßstraße umzog und tausende Soldaten nach Derendorf und in dessen Kneipen spülte, hauptsächlich dafür verantwortlich war, dass Derendorf im Zweiten Weltkrieg eine Menge Feuer abbekam.

Der Krieg krempelte das Äußere Derendorfs nachhaltig um. Vor allem aber wurde er zum dunkelsten Kapitel in der Historie des Stadtteils: Über 6000 Juden wurden vom Derendorfer Güterbahnhof aus in die Konzentrationslager im Osten deportiert — für die meisten ging es in den sicheren Tod.

Ein schickes Viertel war Derendorf in jener Zeit zwischen Mitte des 19. und des 20. Jahrhunderts nicht. „Eher ein seriöses Arbeiterviertel“, sagt Wulf Metzmacher von der Geschichtswerkstatt. Das zeige sich schon darin, dass 1893 in Derendorf der Großknast Ulmer Höh’ eröffnet wurde. Metzmacher: „Im schicken Pempelfort hätte man das nicht machen können.“

Das wurde übrigens endgültig bei der kommunalen Neugliederung 1961 abgespalten, wie Ulrich Brzosa in einem Artikel für die Derendorfer Jonges schreibt: Damals wurden Bezirke wie Flingern-Ost und Flingern-Süd zusammengelegt zu Flingern — aber man wollte Derendorf-Süd und Derendorf-Nord nicht zusammenlegen aus Angst, man würde dann einen statistischen Mammutstadtteil entstehen lassen. Also wurde aus Derendorf-Süd Pempelfort, schreibt Brzosa. Und aus Derendorf ein kleinerer Stadtteil, als er einmal war.

Für den es allerdings wieder spannend wird. „Es gibt einen neuen Umbruch“, sagt Jan Michaelis. Wo Rheinmetall produzierte, ist jetzt das Sprinterwerk, auf anderen Flächen sind Mode-Showrooms entstanden. Wo einst Soldaten hausten, hat sich die Werbeagentur Grey niedergelassen.

Wo Schlösser Bier braute, werden bald Fachhochschüler lernen. Und wo einst die Güterzüge polterten, entsteht das schicke neue Wohn- und Büroviertel Quartier Central. „Industrie spielt heute keine Rolle mehr“, sagt Michaelis.

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