Interview mit Timo Boll: „Das Ziel in Dortmund muss das Finale sein“

Tischtennis-Weltstar Timo Boll über Teamplayer, China und den „Geist von Dortmund“.

Düsseldorf. Timo Boll ist schon ganz auf die Olympischen Spiele in London programmiert. Was nichts daran ändert, dass er bei der Mannschafts-Weltmeisterschaft in Dortmund ins Finale will.

Herr Boll, wissen Sie, was mit dem „Geist von Dortmund“ gemeint ist?
Timo Boll: Hat es etwas mit dem BVB zu tun? Der ist schließlich mein Lieblingsverein im Fußball, auch in unserer Truppe sehr beliebt, sieht man einmal von Christian Süß ab, der aus unverständlichen Gründen auf Schalke 04 steht. Aber „Geist von Dortmund“ sagt mir im ersten Moment nichts.

Wenn Sie an 1989 zurückdenken?
Boll: Meinen Sie die Tischtennis-WM in Dortmund mit dem Doppel-Triumph von Roßkopf/Fetzner?

Genau. Haben Sie das alles überhaupt wahrgenommen — theoretisch hätten Sie als damals Achtjähriger ja auch in der Westfalenhalle sein können, tischtennisbegeistert, wie Sie da schon waren?

Boll: Um ehrlich zu sein: Es hat mich nicht sonderlich interessiert. Ich war zu sehr auf mein eigenes Spiel fixiert. Was im Fernsehen lief, war nicht relevant. Rossi hat mein Interesse erst 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta geweckt, wo er den fantastischen dritten Platz im Einzel belegte.

Tischtennis ist im Kern ein Einzelsport. Sie gehören zu den weltweit besten Individualisten. Hat man dann eigentlich Lust auf eine Team-Weltmeisterschaft wie die in Dortmund?
Boll: Auch wenn man weitestgehend ein Solist in diesem Sport ist, so haben die Mannschafts-Wettkämpfe ihre besondere Bedeutung. Das gemeinsame Erleben mit der Mannschaft, das Mitfiebern, das Anfeuern, der Freudentaumel, wenn es gut gelaufen ist: Bei den Team-Wettbewerben scheint mir die Emotionalität größer zu sein als im Einzel.

Sie leiden seit Beginn des Jahres an einer schmerzhaften Sehnenreizung. Muss man sich Sorgen machen um die Schulter der Nation?
Boll: Momentan nicht. Ich bin heute Morgen schmerzfrei aufgestanden, habe ohne Probleme trainiert und verspüre auch danach keine Wehwehchen.

Wie stehen Sie eigentlich zum Fitspritzen oder zu schmerzstillenden Mitteln?
Boll: Ich habe sie auch schon verwendet, natürlich alles im Rahmen der Legalität. Grundsätzlich tue ich es aber nicht so gerne, ich probiere es lieber auf die konservative Art. Deshalb habe ich auch auf die deutsche Meisterschaft verzichtet. Ich möchte nach diesem fordernden Jahr mit WM und Olympia meine Karriere noch fortsetzen und nicht mit knallharten Methoden meinen Körper zerstören.

Wenn man im Tischtennis von den alten Schweden spricht, dann sind Jan Ove Waldner und Jörgen Persson gemeint, die mit 46 und 45 Jahren international immer noch auf Achse sind. Wie sieht Ihre Karriereplanung aus?
Boll: Ich möchte das noch einige Jahre machen. Das hängt aber davon ab, ob die Gesundheit mitspielt. Spaß macht es nur, wenn man konkurrenzfähig ist. Ich kann das beurteilen, denn es gab auch schon die ein oder andere Durststrecke — wenn ich da nur an langwierige Rückenverletzungen denke.

Waren Sie kurz davor, die Flinte ins Korn zu werfen?
Boll: Das nicht gerade, aber es war nervig. Es kostet viel Geduld, und ich habe schon einige wichtige Titelkämpfe verpasst. Aber lassen Sie mich Grundsätzliches sagen: Ich habe genauso viel Respekt vor einem Sportler wie Michael Schumacher, den es jenseits der 40 wieder zurückzieht in sein Metier, wie vor Magdalena Neuner, die mit 25 Jahren sagt: Freunde, das war’s.

Sie sind ein weltweit geachteter Botschafter des deutschen Sports mit einem
Saubermann-Image. Wären Sie manchmal gern etwas anderes als „Mister Nice Guy“?

Boll: Warum sollte ich krampfhaft versuchen, mich zu verändern? Mein Motto heißt: Behandele die Menschen so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest. Damit bin ich immer gut gefahren.

Sogar in China, wo Sie der wohl bekannteste Deutsche sind. Sie haben dort sogar schon einmal eine Abstimmung zum „Sexiest Man of the World“ gewonnen. Wie reagierten Sie darauf?
Boll: Da war ich noch jung und frisch (lacht). Ehrlich: Ich sehe das als ein Zeichen besonderer Wertschätzung, obwohl mir der Titel als solcher eher peinlich ist.

War’s eine Frauen-Zeitschrift?
Boll: Ich glaube, es war mehr so eine Art Internet-Voting.

Sprechen Sie eigentlich die Sprache?
Boll: Bruchstückhaft, aber ich arbeite weiter daran. Schließlich möchte ich das Land noch einige Male besuchen. Immerhin: Peking-Ente kann ich bestellen, das geht unfallfrei.

Befassen Sie sich mit der Menschenrechts-Problematik, wenn Sie sich auf eine China-Reise vorbereiten oder selbst vor Ort sind?
Boll: Ich weiß um die Bedeutung des Themas in Deutschland. Und es gibt sicherlich Probleme in China. Ich komme seit 15 Jahren dorthin und weiß, dass sich in dieser Zeitspanne viele Dinge positiv verändert haben. Ich sehe China auf dem richtigen Weg.

Sie sind im Reich der Mitte beliebt — und gefürchtet. Stimmt es eigentlich, dass es Imitatoren gibt, die sich Ihren Stil zu eigen gemacht haben, damit die Spitzenleute gegen so etwas wie einen Boll-Klon trainieren können?
Boll: Es gibt auch Geschichten, die sind deshalb gut, weil sie gut erfunden sind. Sicherlich werden sie meinen Spielstil besonders unter die Lupe genommen haben, die Chinesen arbeiten halt sehr akribisch und professionell. Aber so etwas wie Boll-Double gibt es nicht. Wie ich auch zu meinem Kollegen Ovtcharov schlecht sagen könnte: Hey Dima, mach mir mal den Wang Hao.

Sie haben im letzten Sommer zwei Monate in der chinesischen Superliga gegen alle Cracks gespielt. Wie war die Bilanz?
Boll: Es ging ganz gut los, 6:1. Am Ende war aber die lange Saison zu spüren, es hieß 9:5.

Welche mediale Bedeutung hat diese Top-Spielklasse?
Boll: Sie ist live im Fernsehen, wird zur Primetime übertragen.

Wie viele Menschen erreicht sie?
Boll: Viele, viele Millionen. Mehr als „Wetten, dass . . ?“.

In der TV-Wahrnehmung hat Tischtennis in Deutschland einen viel geringeren Stellenwert. Blicken Sie deshalb manchmal wehmütig gen China?
Boll: Natürlich hätten wir gern mehr Fernsehpräsenz. An der Rasanz unseres Sports kann es nicht liegen. Vielleicht fehlt uns einfach die Lobby. Und vielleicht ist es für die Fernsehschaffenden auch viel attraktiver, Wettkämpfe aus den Wintersport-Paradiesen dieser Welt zu präsentieren, als Tischtennis zu zeigen.

In Europa ist Deutschland unangefochten die Nummer eins. Welche Chancen hat Ihr Team bei der Heim-WM?
Boll: Unser Ziel muss die Endspiel-Teilnahme sein. Erst dort können wir auf die Chinesen treffen, doch auf dem Weg dahin sind noch einige Brocken aus dem Weg zu räumen. China ist aufgrund der unglaublichen Leistungsdichte nur schwer zu bezwingen. Aber kampflos würden wir uns natürlich nicht ergeben, und die Unterstützung durch 11 000 Zuschauer könnte auch etwas ausmachen. Vielleicht verspüren ja auch wir den „Geist von Dortmund“.

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