Anführer, Vorzeigesportler, Botschafter

Timo Boll ist der erfolgreichste deutsche Spieler aller Zeiten. Und der Superstar agiert mit 37 Jahren noch immer auf einem beeindruckenden Niveau — bei der Borussia und auf internationalem Parkett.

Anführer, Vorzeigesportler, Botschafter
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Er gilt als „einer der klügsten Taktiker dieses Sports und ist zudem durch sein Fairplay in allen Situationen bekannt“. So steht es im Wikipedia-Eintrag des erfolgreichsten deutschen Tischtennisprofis aller Zeiten geschrieben. Timo Boll - der ruhige und höfliche Mann aus dem Odenwald. Der Rekordeuropameister, der Düsseldorf seit 2006 seine sportliche Heimat nennt. Der dreimalige Weltranglistenerste, der vom Weltverband ITTF als Spieler des Jahres 2017 ausgezeichnet wurde. Die sportliche Lebensversicherung von Rekordmeister Borussia, die stets respektvoll und lobend über Mitspieler und Gegner spricht.

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Wer regelmäßig über den inzwischen 37-Jährigen schreibt, stellt fest, dass die Superlative längst zur Neige gegangen sind. 15 Jahre Weltklasse und kein bisschen müde - vielleicht ist das die treffendste Beschreibung für den Vorzeigesportler, der teilweise Unbeschreibliches leistet. Boll lebt und atmet Tischtennis, ist akribisch in seiner Vorbereitung, kann sich an der Platte wie kein Zweiter auf sein Gegenüber einstellen. An einem guten Tag ist er noch immer in der Lage, auch jeden der hin und wieder übermächtig erscheinenden Chinesen zu schlagen.

Oder seinen Kumpel und Nationalmannschaftskollegen Dimitrij Ovtcharov. So wie jüngst im Finale der Champions League, als Boll und die Borussia den Titelverteidiger Fakel Orenburg entthronten. Sowohl im Hin- als auch im Rückspiel wies Boll den zweiten deutschen Top-Fünf-Spieler der Weltrangliste in die Schranken, auch wenn dieser nicht im Vollbesitz seiner Kräfte war.

Zum dritten Mal nach 2010 und 2011 gewannen Boll und Borussia in diesem Jahr das „Triple“ aus Deutscher Meisterschaft, Pokalsieg und Champions-League-Triumph. Dass „Mister Zuverlässig“ daran entscheidenden Anteil hatte, ist beinahe eine Untertreibung. In 34 seiner wettbewerbsübergreifend 39 Matches ging der Linkshänder als Sieger vom Tisch, lieferte immer wieder gerade in für die Mannschaft brenzligen Situationen ab, sorgte häufig für zwei der drei benötigten Einzelsiege, um den Erfolg des Teams sicher zu stellen. Anführer Boll - der, an dem sich andere orientieren und aufrichten.

Nach dem Sieg über Orenburg Mitte Mai äußerte sich der sonst immer überlegt-besonnene Hesse fast schon überschwänglich: „Wir haben sieben Jahre auf diesen Titel gewartet. Und natürlich hat es mich immer gefuchst, wenn wir im Finale verloren haben. In diesem Jahr hat einfach alles gepasst, wir haben den Moment genutzt.“

Zehn deutsche Meisterschaften im Trikot der Borussia, insgesamt 24 Titel, darunter drei Mal die Champions League. Viel mehr geht nicht. Als „Einzelkämpfer“ ist die Erfolgsliste nicht weniger beeindruckend: WM-Dritter 2011, zweimaliger Gewinner des Weltcups, sechs Triumphe bei den Einzel-Europameisterschaften, 19 Siege auf der World Tour und zwölf Mal deutscher Meister im Einzel. „Was Timo spielt, ist einfach der Wahnsinn und wie er mit der Erwartung an ihn und dem Druck umgeht, ist kaum mit Worten zu beschreiben“, lobt Borussia-Trainer Danny Heister. Selbst der Niederländer beendet die Suche nach Superlativen mittlerweile ergebnislos.

Doch was treibt Boll immer noch an? Die WM 2019 in Budapest? Die fehlende Einzel-Medaille bei Olympischen Spielen? Die Enttäuschungen 2012, als er im Achtelfinale von London gegen den Rumänen Adrian Crisan ausschied, und von Rio 2016, als der Nigerianer Quadri Aruna bereits in Runde zwei zum Stolperstein wurde, sind aus dem Kopf des Wettkampftypen nicht verschwunden. Tokio 2020 ist das Ziel. Boll formuliert das nicht forsch. „So lange mein Körper mitmacht, werde ich weiterspielen“, hat der Fahnenträger von Rio im vergangenen Jahr in einem Interview gesagt.

Denn Boll weiß, wie schnell etwas dazwischen kommen kann. Nackenprobleme, Bandscheibenvorfall, Knie-Operation. Zwei Dekaden Leistungssport sind auch an einem Musterprofi wie ihm nicht spurlos vorüber gegangen. Hin und wieder zwickt es hier und da. In den vergangenen zwei, drei Jahren auch häufiger. Doch der aktuelle Weltranglistenvierte weiß am besten, was sein Körper noch zu leisten imstande ist. Auch deshalb wird schon lange nicht mehr für jedes Turnier auf der World Tour gemeldet. Ein Vorteil: Er wird nicht mehr alleine vom Erfolgsgedanken angetrieben. Boll hat Spaß an seinem Sport, für den er ein weltweiter Botschafter ist. In China gilt er als einer der populärsten Deutschen.

Irgendwo in seinem Kopf ist er noch da, der Traum von der olympischen Einzelmedaille. Daran besteht kein Zweifel. Wenn das olympische Turnier von Tokio kommt, ist Boll 39 Jahre alt. Ob es dann von der Physis her tatsächlich noch für mindestens das Halbfinale reicht? Viel wird von dem bis dahin zu absolvierendem Weg abhängen. Und ein bisschen sicherlich immer noch von den Erfolgen in nächster Zeit. Jener Weg führt Boll nach einem Heimaturlaub bald zurück auf die World Tour und zur Borussia. Mit seinem Club ist er ab August in drei Wettbewerben der Gejagte.

In den vergangenen beiden Jahren spielte der 37-Jährige auf konstantem Weltklasse-Niveau mit beeindruckender Konstanz. Bei der Borussia hoffen sie, ebenso wie beim Deutschen Tischtennis-Bund, dass Boll den „Zahn der Zeit“ auch in den kommenden Jahren noch in Schach halten kann. Boll selbst hat ähnliches im Kopf. Dieser sympathische Vorzeigesportler, der von der Konkurrenz respektiert und noch immer gefürchtet wird. Selbst von diesen Chinesen.

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