Jacques Tilly: „Wer zweifelt, stellt die Verhältnisse in Frage“

Der Roman „Der Name der Rose“ ist aktueller denn je, denn in dem Buch geht es um das Lachen. Jacques Tilly fand darin seinen literarischen Helden.

Jacques Tilly: „Wer zweifelt, stellt die Verhältnisse in Frage“
Foto: David Young

Düsseldorf. Jacques Tilly, Wagenbauer, Aufklärer und evolutionärer Humanist, besitzt ein Häuschen in den ligurischen Bergen. In dieselbe Gegend schickt Umberto Eco die Hauptfigur seines Romans „Der Name der Rose“, um gegen den Teufelswahn zu kämpfen. Für Tilly ein Schlüsselroman. Zuletzt in seinem Ferienhaus in Italien, wo das Buch dann sehr real wird.

Jacques Tilly: „Wer zweifelt, stellt die Verhältnisse in Frage“
Foto: Sat 1

WZ: Als ich Sie zur Vorbereitung des Interviews nach Ihrer Heldengeschichte gefragt habe, nannten Sie ohne zu zögern William von Baskerville aus „Der Name der Rose“. Wieso ging das so schnell?

Jacques Tilly: Das Buch begleitet mich seit 1986, als ein Freund es mir empfahl. Ich habe es bestimmt zehn Mal gelesen. Wenn ich Vorträge über meine Arbeit halte, zeige ich gerne zum Einstieg den Buchtitel. So sehr hat es mich beeinflusst.

1985 erschien der Film. Haben Sie ihn gesehen?

Tilly: Ja, die Vorlage ist so gut, dass selbst Produzent Bernd Eichinger ihn nicht versauen konnte.

Sie wirken immer so vernünftig. Dass Sie für einen Helden schwärmen, kann man sich gar nicht vorstellen.

Tilly: Die Gesellschaft braucht Helden. Das sind Menschen, die exemplarisch das leben, was die Gesellschaft für richtig hält. Früher waren das eher Kriegertypen, heute orientieren wir uns an den Grundsätzen der Humanität. Und wenn wir in diesen Tagen von Helden sprechen, dann müssen wir über die realen Helden unserer Zeit reden, die ermordeten Mitarbeiter von Charlie Hebdo. Sie haben trotz Todesdrohungen ihren Kurs nicht aufgegeben.

Was macht den Franziskanermönch Baskerville aus „Der Name der Rose“ zu einem Helden?

Tilly: Mich fasziniert seine geistige Autonomie. Er repräsentiert die moderne Welt in einer zutiefst vom Mittelalter geprägten Umgebung, die noch vom Teufelswahn beherrscht ist. Baskerville dagegen denkt wissenschaftlich. Er lässt sich von Fakten leiten und nicht von religiöser Voreingenommenheit. Dafür gefährdet er auch sein Leben.

Das ist aktueller denn je.

Tilly: Ja. Die Pointe von Umberto Ecos „Name der Rose“ hat sich mit den Ereignissen von Paris auf schreckliche Weise bestätigt: Einige Gruppen haben heute noch die brutalen Verhältnisse des Mittelalters im Kopf. Fundamentalisten bekämpfen seit ewigen Zeiten den Zweifel, der sich in der Satire und im Humor ausdrückt. Wer zweifelt, bringt eine neue Perspektive ins Spiel und stellt die bestehenden Verhältnisse in Frage. Das passt manchen Gruppen nicht.

Die Figur William Baskervilles ist verknüpft mit dem englischen Philosophen und Theologen Wilhelm von Ockham. Haben Sie sich mit ihm beschäftigt?

Tilly: Der Autor des Buches hat Ockham, der im 14. Jahrhundert lebte, als reales Vorbild für Baskerville genannt. Ockham war großartig. In meinen Augen hat er dem mittelalterlichen Denken den entscheidenden Todesstoß versetzt. Er pochte auf die Trennung von Glaube und Wissen und wandte sich so gegen die Hochscholastik. Er vertrat die Auffassung, dass alles, was wir wissen, auf Erfahrung beruht. Von Gott aber, so Ockham, können wir keine Erfahrung haben.

Beide, Baskerville und Ockham, sind Franziskaner. Sie sind Mitglieder der Kirche und bekämpfen sie doch. Allerdings von innen. Das wäre für Sie unvorstellbar, oder?

Tilly: Damals gab es ja keine Chance, aus dem geschlossenen katholischen Weltbild auszubrechen. So oder so - letztlich geht es um die Frage nach der Wahrheit: Wie komme ich zu ihr? Und da zeigt sich im Übrigen auch der wahre Held: Er merkt sich seine Ziele bis zum Schluss. Helden halten immer durch, sie lassen sich nicht ablenken.

Zehn Mal haben Sie das Buch gelesen, wann zuletzt?

Tilly: Im Sommer, in unserem Ferienhaus in den ligurischen Bergen. Ich habe angefangen, es meinen Kindern vorzulesen. Sie sind 13 und 16 Jahre alt. Aber wir sind noch nicht durch. Das Häuschen ist ein mittelalterliches Hexenhäuschen und liegt in der Gegend, wo Ecos Geschichte spielt. Ich habe den dichten Nebel, der in dem Roman die Klostermauern hinaufsteigt, wirklich gesehen. Dort wird das Buch sehr real.

Der Roman hat eine aufklärerische Ambition und ist zudem ein spannender Krimi und vor allem eine Abhandlung über das Lachen.

Tilly: Er hat viel Schichten, aber in dem wichtigsten Handlungsstrang geht es um die Frage: Welche Bedeutung darf der Humor in der Welt haben? Das ist die Pointe des Buches. Es setzt dem angstfreien Lachen ein Denkmal. Denn meiner Meinung nach steht die Angst im Zentrum der Kirche, nicht die Nächstenliebe. Die Angst vor dem Tod, vor der Sünde, vor Gottes Strafe. Das Lachen kann den Menschen davon befreien. Denn wirklicher Humor ist subversiv und geht an die Grundlagen. Er erkennt keine Autoritäten an.

Genau Ihr Thema, als Wagenbauer des Rosenmontagszugs.

Tilly: Ja, schon als Junge habe ich mich mehr für Otto Waalkes als für Fußball interessiert. Humor ist Teil meiner Identität. Und er ist die humanste Form der Kritik.

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