Oberbilk erfindet sich immer wieder neu

In kaum einem anderen Stadtteil hat sich der Strukturwandel vom Industrieort zum Büroviertel so radikal vollzogen.

Düsseldorf. Oberbilk ist ein Stadtteil in rasantem Wandel. Die Generation, die sich noch an die großen Stahl-und Röhrenwerke entlang der Kölner Straße erinnern kann, stirbt langsam aus. Wo einst das Oberbilker Stahlwerk stand, ist heute der Berta-von-Suttner-Platz. Auf dem ehemaligen Schießgelände befinden sich das Gesundheitsamt und der IHZ-Park, aus dem Mannesmann Röhrenwerk wurde das Internationale Handelszentrum und die Vereinigten Kesselwerke wichen dem Neubau des Gerichts. Einzig die Tordurchfahrt und das Verwaltungsgebäude der Carl Weyer Waggonfabrik, später Kahle Rohrleitungsbau, erinnern an die Bauten der Schwerindustrie. Aber auch diese Firma hat Oberbilk längst verlassen. Heute führt die alte Toreinfahrt in das Wohngebiet an der Haifastraße mit Blick auf den IHZ-Park.

Innerhalb von knapp zwei Jahrhunderten hat sich Oberbilk mehrfach neu erfunden. Wegen seiner sandigen Böden wurde das landwirtschaftlich genutzte Areal zur Stahlschmiede Düsseldorfs und geriet wie das Ruhrgebiet in den Abwärtssog dieses Industriezweiges und wandelte sich ab 1979 in ein Bürogebiet mit zahlreichen Grünoasen. „Und Oberbilk wird sich weiter wandeln“, ist der Vorsitzende des Oberbilker Bürgervereins, Jürgen Kirschbaum, überzeugt, „Durch die Ansiedlung des Gerichts ist schon viel geschehen. Jetzt ist auch die lang ersehnte Umgestaltung des Oberbilker Marktes auf einem guten Weg. Wir müssen nur noch die Zuschüsse abwarten, dann kann der Platz wieder zu dem Zentrum des Stadtteils werden, das er einst war“, sagt der CDU-Ratsherr.

Jürgen Kirschbaum, Vorsitzende des Oberbilker Bürgervereins

Initialzündung für die Besiedlung Oberbilks war 1838 der Bau der Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahn 1838, der 1845 die Cöln-Mindener Eisenbahn folgte. Beide Linien führten durch Oberbilker Gebiet. Die gute Bahnverbindung und die Nähe zur Ruhrkohle lockte vor allem Industrielle aus Belgien und aus der Eifel nach Oberbilk an. 1852 errichteten die Brüder Richard ihr erstes Puddelstahlwerk („Puddeln“ ist die Veredlung von Roheisen zu Stahl), ab 1858 bauten die ebenfalls aus Belgien stammenden Brüder Piedboeuf an der Kölner Straße ein Walzblech-, Kessel- und Puddlingswerk, das 1873 um ein Röhrenwerk erweitert wurde.

1860 siedelte sich der Poensgen-Clan aus der Eifel auf dem Gelände des heutigen Berta-von-Suttner-Platzes an, es folgten Mannesmann aus Remscheid und viele andere. Oberbilk war „Röhrenvorort“ geworden. Und als dort der Platz knapp wurde, wich die Industrie entlang der Eisenbahnstrecke nach Lierenfeld aus.

So rasch die industrielle Entwicklung fortschritt, so schnell bildeten sich Wohngebiete — an den Hauptstraßen in gründerzeitlich verzierten Häusern, an den Nebenstraßen eher in Form komfortloser und billiger Mietskasernen. Mit drei Kinos, zwanzig Kneipen, darunter einer mit Hausbrauerei, und gut einhundert Geschäften, entwickelte sich die Kölner Straße mit dem Oberbilker Markt zum Zentrum des neuen Stadtteils.

Parallel zu Industrie und Arbeiterwohnhäusern siedelten sich in den Hinterhöfen auch kleine Handwerksbetriebe an. Zwar ist die Industrie weitgehend weg — die Mischung aus Wohnen im Vorderhaus und Kleingewerbe beziehungsweise Handwerk im Hinterhof prägt Oberbilk noch bis heute.

Startschuss für den Rückzug von Industrie und Gewerbe aus dem Stadtteil war der Verkauf des Thyssen Stahlwerks östlich des Hauptbahnhofs an die Stadt 1958. Aber erst, als die Poensgen’schen Stahlfabrik 1979 nach Reisholz verlagert werden konnte, war der Weg frei für eine städtebauliche Umstrukturierung. Der Hauptbahnhof wurde nach Osten geöffnet und bekam mit dem Berta-von-Suttner-Platz einen zweiten Bahnhofsvorplatz, auf dem sich Stadtbücherei, Volkshochschule und mehrere Gerichte ansiedelten. Die Straßenbahnen verschwanden unter der Erde (1996 bis 2002) und auf dem ehemaligen Werksgelände von Mannesmann entstand Ende der 1980er-Jahre das Internationale Handelszentrum. 2010 dann folgte der Umzug des Gerichts an die Werdener Straße.

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