Von zwei Amerikanern, die Deutschland lieben lernten

1.400 Menschen aus dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ leben in der Stadt. Mindestens zwei von ihnen wollen für immer bleiben.

Düsseldorf. Auf den ersten Blick scheinen die Unterschiede zwischen Amerikanern und Deutschen klein. Längst ist auch Europa "amerikanisiert", nach wie vor gilt die Faustregel: Was jetzt in den USA passiert oder dort gerade "in" ist, schwappt wahrscheinlich in zwei Jahren über den Atlantik zu uns.

Doch es gibt sie, die feinen Unterschiede. Und einer, der sich auf diesem Gebiet besonders gut auskennt, ist Charles Greene (71). Er ist einer von rund 1.400 Amerikanern in Düsseldorf, lebt seit fast 40 Jahren in der Stadt.

Greene ist durch und durch Werber, wurde Anfang der 1970er Jahre von der New Yorker Agentur Grey in die hiesige Dependance versetzt, um die Kreativ-Abteilung umzukrempeln. Er ist geblieben und wirkt inzwischen so deutsch wie amerikanisch.

Sein Akzent ist unüberhörbar, und er duzt einfach jeden. Die Leute könnten dann frei entscheiden, ob sie ihn auch duzen wollen oder nicht, sagt er. Sehr amerikanisch. Doch seinen Ehering trägt Greene an der rechten Hand. Das würde ein Amerikaner niemals machen. Sehr deutsch.

Kein Wunder also, dass er als "Grenzgänger" vor einigen Jahren ein Buch geschrieben hat, in dem er auf die feinen Unterschiede eingeht. Es trägt den bezeichnenden Titel "Wie ich lernte, die Deutschen zu lieben".

Satirisch und durchaus witzig berichtet er darin von seinen ersten Erfahrungen in Düsseldorf und lässt dabei auf den ersten Blick keinerlei Klischees über die Deutschen aus. Und auch heute noch sagt er: "Deutschland ist ein einziges Regelwerk. Mit dem Nachbarn kann es zu einem handfesten Streit kommen, wenn mein Baum mit ein paar Ästen in seinen Garten ragt." All diese Regeln und die vielen ungeschriebenen Gesetze hätten ihn anfangs sehr irritiert, erzählt Greene. "In den USA ist es völlig anders."

Aber nicht unbedingt besser, findet er: "Alles, wofür Amerika steht, habe ich in Deutschland gefunden." Ihn faszinierte von Anfang an der Sozialstaatsgedanke: "Es ist toll, dass in dieser Gesellschaft jeder für den anderen Verantwortung übernimmt."

In den USA sei hingegen die individuelle Freiheit enorm wichtig: "Das Gefühl, dass man jederzeit alles tun und erreichen kann, ist sehr tief in der amerikanischen Kultur verankert." Etwas, worum wiederum mancher Deutscher die Amerikaner beneidet.

Doch die scheinen tatsächlich einen Narren an so genannten Tugenden wie der oft beschworenen "deutschen Gründlichkeit" gefressen zu haben: "Im Jahr 2000 bin ich nach Düsseldorf gekommen", erzählt Frank Tschan (39), Sportdirektor an der Internationalen Schule. "Und ich fand ein Land vor, das ganz anders war, als ich erwartet hatte."

Tschan findet, dass die Deutschen zuverlässiger und besser organisiert sind.

Und auch er hat für das von den Deutschen selbst oft so heftig kritisierte Sozialsystem nur Bewunderung übrig: "In Amerika gibt es kein soziales Netz", sagt er. "Deshalb sind die Träume zwar größer, die Risiken aber auch."

Und die Einstellung zur Arbeit sei völlig anders, weil es in den USA keinen Kündigungsschutz gebe. Tschan hat sich beispielsweise immer noch nicht an seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub gewöhnt: "Den habe ich noch nie ausgereizt."

Doch klingt das nicht alles zu schön, um wahr zu sein? Sollte Deutschland womöglich doch ein Ort sein, an dem Milch und Honig fließen? Da muss Tschan dann doch lachen. "Nein, manche Dinge vermisse ich auch, etwa einen schnellen Kundendienst", sagt er. Und weil er manchmal doch Heimweh hat, obwohl er Düsseldorf wunderschön findet, fliegt er mehrmals im Jahr in die USA. "Ich habe zweiseitiges Heimweh. Wenn ich in Amerika bin, freue ich mich auf Deutschland."

Und Charles Greene, der die Zeiten des Aufbruchs in den 1960er Jahren in New York erlebt hat, der sich in der Bürgerrechtsbewegung engagiert hat und manchmal die enorme Offenheit seiner Landsleute vermisst, hält die Deutschen gar für das fairste Volk, das er kennt: "Das ist das Gute an den ganzen Regeln hier. Sie dienen dazu, immer einen Konsens zu finden."

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