Der Strohhut — Zylinder des kleinen Bauern

WZ-Autor Matthias Rech berichtet vom Miet-Acker in Niederkassel

Düsseldorf. Neulich abends surften Piet und ich durchs Internet und landeten bei einem Werbefilmchen über das Selber-Gärtnern. Die beiden Protagonistinnen kamen uns von der Saisoneröffnung auf unserer Scholle sehr bekannt vor — und sie trugen einen Strohhut.

Da fiel es mir plötzlich wie Spinatblätter von den Augen: der Strohhut ist das ultimative Erkennungsmerkmal für den erfolgreichen Gärtner. Für den Herrscher über Rauke und Fenchel, den Vernichter allen Unkrauts und den Schlächter der Blattläuse. Könige haben eine Krone, Bürgermeister eine Amtskette, Hexen einen Besen, Lothar Matthäus hat 18-jährige Osteuropäerinnen und ich habe den Strohhut. Das Statussymbol des Gärtners.

Das Gebinde aus trockenem Gras verfehlt seine Wirkung nie. Erst neulich, ich war gerade fünf Minuten auf dem Acker, da spricht mich eine junge Frau an, stellt eine Fachfrage zum Unterharken von Stroh zu Düngezwecken. „Kann ich dahinten das trockene Gras auch nehmen?“ Ich ziehe die Stirn in Falten und mich einige Sekunden wie eine weise Schildkröte unter meinen Hut zurück, um dann lässig auf den Schuffler gestützt zu antworten: „Ja klar, natürlich. Warum nicht.“ Sie strahlt, bedankt sich und geht ans Werk. Dem Strohhut glaubt man, der weiß was vom Gärtnern — auch wenn sich unter ihm nichts als Ahnungslosigkeit verbirgt.

Und es geht weiter: Etwa eine halbe Stunde später spazieren zwei Damen an mir vorbei und blicken dabei fragend auf Knollen, die aussehen als hätte man eine Kartoffel mit einer Möhre gekreuzt. „Die schauen aber lecker aus“, sagt der Strohhut. Ich selbst kann es nicht gewesen sein, denn ich habe keine Ahnung, was das für eine Erdfrucht ist. Die beiden Gärtnerinnen allerdings auch nicht. Man steht zusammen, fachsimpelt, der Strohhut macht die Riechprobe: erdig, na toll. Schließlich wagt eine den Bestimmungsversuch: „Könnte eine Art Rettich sein.“ Mmmh, ja. „Das sieht ganz danach aus“, schießt es altklug unter dem Hut hervor, als hätte die Insignie der Gartenmacht es mir eingeflüstert.

Der Strohhut. Denkermütze des Salatpflückers, die Pickelhaube des Unkrautbekämpfers, der Zylinder des kleinen Bauern. Sie verleiht ungeahnte Autorität auf dem Mietacker. Sonst aber auch nichts. Denn trotz des Strohhuts suchten Piet und ich am Ende vergeblich nach einer Artischocke, die wir liebevoll angezogen und als Keimling auf unseren Acker gesetzt hatten. Gleich hinter den Bohnen. Oder doch näher bei den Zucchini? Wie sieht so eine Artischocke eigentlich aus, wenn sie größer geworden ist? Piet wusste es nicht, ich wusste es nicht. Jetzt gibt es keine Artischocke mehr. Sie wurde wohl mit all dem Unkraut weggeschuffelt. Selbst der Strohhut konnte das nicht verhindern.

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