Ist Wein gut für die Nerven?

Die WZ stellt im Sommer Düsseldorfer Forscher vor. Den Anfang macht Mark Stettner, der aus Wein ein Medikament für kaputte Nerven machen will.

Düsseldorf. Die Griechen gaben ihm mit Dionysos eine eigene Gottheit, Odysseus besänftigte mit seiner Hilfe einen bösen Zyklopen, in der Bibel wird er ohnehin alle paar Seiten genossen. Und sowieso steht schon lange fest: Wein ist gut für die Gesundheit. In Maßen — nicht in Massen.

Aber: Ist er auch gut für die Nerven? Diese Frage hat sich ganz wörtlich die Arbeitsgruppe von Professor Bernd Kieseier an der Neurologischen Klinik der Uni gestellt — die Studie unter der Leitung des jungen Forschers Mark Stettner wurde gerade erst in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Mit ihm startet die neue WZ-Serie, in der wir einige Düsseldorfer Forscher und ihre Projekte vorstellen.

„Letztendlich ist diese Idee wohl wirklich mal abends entstanden“, sagt der Neurologe, der sich in seiner Arbeit vor allem mit Erkrankungen des peripheren Nervensystems — also mit Nerven in Armen und Beinen — beschäftigt. Diese Nerven, erklärt Stettner, sind wie Elektrokabel, die Impulse weiterleiten. Sie bestehen quasi aus einem Kupferdraht und einer Isolierschicht. Entzündungen können diese Isolierschicht angreifen, dann geht irgendwann der ganze Nerv kaputt.

Das große Problem der Medizin: „Wir können eine solche Entzündung hemmen“, erklärt Stettner. „Aber es gibt noch keine Medikamente, um die Isolierschicht zu reparieren; die Heilung des Nervs zu fördern.“ Die Hoffnung der Forscher: Vielleicht liegt die Lösung im Vino.

Nun wäre es wenig wissenschaftlich, mehrere Menschen mit angegriffenen Nerven auf eine Weinprobe einzuladen. Deshalb haben Mark Stettner und seine Kollegen im Labor aus Zellen einer Maus ein eigenes Nervensystem gezüchtet. „Ein sehr vereinfachtes, aber hilfreiches System — es bildet auch diese Isolierschicht und wir können untersuchen, welche Substanzen den Aufbau fördern oder hemmen.“

Mit einer Pipette haben die Forscher eine sehr kleine Menge Wein in die Nerven gegeben — und zwar weißen wie roten. Das Ergebnis war erstaunlich: „Es zeigte sich, dass durch den Rotwein das Myelin — der Stoff der Isolierschicht — zunimmt“, erklärt der Forscher. „Auch Weißwein hatte einen positiven Effekt — wenn auch nicht ganz so stark.“

Das Ganze war nicht nur so ein Gefühl: Das Team ließ einen bemitleidenswerten Mitarbeiter auf 8000 bis 9000 Bildern Teilstücke von Nervensträngen zählen. Dieser Zähler war „geblindet“, erklärt Stettner: Er wusste nicht, was genau er da zählt — damit er nicht, sollte er möglicherweise eher Biertrinker sein, die Ergebnisse unbewusst beeinflussen kann.

Wein ist also wirklich gut für die Nerven. So scheint es zumindest. Was die Forscher allerdings noch nicht beantworten können, ist, welche Substanz es genau ist, die so guttut. In einem Versuch wurde Reserveratrol — eines der vielgerühmten Polyphenole im Rotwein — separat auf die Nerven in der Versuchsschale gegeben. Der Effekt auf die Isolierschicht der Nerven war ganz nett — aber eben lange nicht so gut wie beim Wein an sich.

Er bleibt also zumindest vorerst eine rätselhafte Wunderwaffe. „Unsere Arbeit ist der erste Schritt“, erklärt Stettner. Ziel ist es, die richtige aus den hunderten Substanzen im Wein irgendwann herauszufinden, sie zu testen und einmal als Medikament zuzulassen. „Aber so etwas dauert 20 Jahre.“

Immerhin ist es eine Hoffnung für viele Menschen. „Erkrankungen des peripheren Nervensystems sind sehr häufig“, sagt Stettner. Oft betroffen seien Diabetespatienten, die durch kaputte Nerven Hitzegefühle in den Gliedern oder auch Lähmungserscheinungen hätten.

Die Studie übrigens auf den Hausgebrauch anzuwenden — davor warnt der Neurologe ausdrücklich. Eine Empfehlung: „Sauf dich gesund!“ will er aus seinen Ergebnissen nicht gezogen wissen. Ein Menschenkörper ist eben doch keine Petrischale im Labor. Aber in Maßen, so glaubt Stettner, könnte Wein tatsächlich Gutes tun. Und wenn nicht fürs Nervensystem, dann doch ganz sicher fürs Nervenkostüm.

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