Serie: Die besten Düsseldorfer Live-Konzert The Who: „Mutter hielt sich die Ohren zu“

Unser Autor Hans Hoff war elf Jahre alt, als er mit Begleitung den wilden Auftritt in der Rheinballe erleben durfte.

The Who bei einem Auftritt im Juni 2016 in Madrid: Sänger Roger Daltrey und Pete Townshend sind übrig geblieben (links).

The Who bei einem Auftritt im Juni 2016 in Madrid: Sänger Roger Daltrey und Pete Townshend sind übrig geblieben (links).

Foto: dpa

Düsseldorf. „Hope I die before I get old“, The Who

Auf dem Foto von 1978 ist die Band noch vollzählig (v.l.): Keith Moon, Pete Townshend, Roger Daltrey und John Enthwistle.

Auf dem Foto von 1978 ist die Band noch vollzählig (v.l.): Keith Moon, Pete Townshend, Roger Daltrey und John Enthwistle.

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11. April 1967, Rheinhalle:

Ich war elf Jahre alt, und ich hatte geschafft, was sonst keinem in meiner Klasse gelungen war. Ich saß in der Rheinhalle, oben auf dem Balkon, und ich sollte gleich The Who sehen. The Who waren in jener Zeit das Wildeste, was der Rock, der damals noch Beat hieß, vorrätig hatte. The Who waren berüchtigt für ihre chaotischen Auftritte, bei denen sie am Schluss stets ihre Instrumente zertrümmerten. Das war jedes Mal ein Schock, besonders für jene Nachkriegseltern, die sich gerade mühsam wieder etwas aufgebaut hatten und sich ein bisschen Luxus leisten konnten.

Die verbanden Zerstörung nicht mit Aufruhr, sondern eher mit Terror. Aber davon wusste meine Mutter noch nichts, als sie neben mir in der Rheinhalle, die später umgebaut wurde und heute Tonhalle heißt, Platz nahm. Ich hatte ihr erzählt, dass die Band so ähnliche Musik spielt wie die deutschen Lords. Die hatten wir kurz zuvor gemeinsam gesehen, und meine Mutter hatte deren Auftritt zwar nicht gemocht, aber doch immerhin für nicht jugendschädlich erachtet.

Die Lords waren brav gewesen, hatten sich ordentlich benommen und zwischendrin adrette Anzüge getragen. Da war meine Mutter bereit gewesen, die langen Haare zu übersehen. Sie hatte danach meinem Vater erzählt, dass das mit dem Beat nicht so schlimm sei, wie man sich unter Erwachsenen erzählte. Wie sie sich täuschen sollte.

Sie wurde schon etwas misstrauisch, als sie die Gestalten sah, die wegen The Who gekommen waren. Von adretten Anzügen keine Spur. Und das Verhalten! Manche hockten auf ihren Stuhllehnen, Füße auf dem Sitz, und sie rauchten, was das Zeug hielt. Ich hörte, wie sich nebenan welche vom letzten Rheinhallen-Konzert der Who erzählten. Das hatte im November zuvor schon für Furore gesorgt, aber davon hatte meine Mutter nichts mitbekommen. Sie wurde dann sehr unruhig, als die Vorgruppe zum Dienst antrat.

Ich erinnere mich an wilde Typen, die komplett in Weiß gekleidet waren, aber die zur Farbe gehörende Unschuld komplett vermissen ließen. John’s Children hieß die Band und machte richtig was los. Der Sänger rannte mit einer Trillerpfeife quer durchs Publikum. Zwei der Musiker taten so, als wollten sie sich auf der Bühne prügeln, und der Gitarrist haute wie wild auf sein Instrument ein.

Viel später fand ich heraus, dass meine Mutter und ich an jenem Tag einen kommenden Superstar gesehen hatten, denn dieser Gitarrist war niemand anders als Marc Bolan, der mit T.Rex ziemlich berühmt werden sollte.

Irgendwann war es dann so weit. Ein Mann kam auf die Bühne und wollte das Publikum animieren, laut nach den Who zu rufen. Er sagte etwas wie „Gebt mir ein W.“ Keine Reaktion im Publikum. „Gebt mir ein H.“ Wieder kaum Reaktion. „Gebt mir ein O.“ Da kam ein bisschen was. Als er dann „The Who“ brüllte, standen schon die ersten vor den Stühlen.

Dann kamen Pete Townshend, Roger Daltrey, John Entwhistle und Keith Moon auf die Bühne. Es dauerte ein bisschen, bis sie ihre Instrumente eingerichtet hatten. Ich weiß nicht mehr genau, womit sie angefangen haben, aber ich meine, sie hätten sehr früh „Substitute“ und „I’m A Boy“ gespielt. So genau war das eh nicht zu erkennen. Zu jener Zeit waren die Bühnenverstärker eher unterdimensioniert und eigentlich nicht laut genug, um einen Saal wie die Rheinhalle angemessen zu versorgen.

Ich fand es ein bisschen zu leise, meine Mutter hielt sich trotzdem die Ohren zu. Aber das mit dem Hören war eh zweitrangig. Ich wollte The Who sehen, und was ich sah, ließ keine Wünsche offen.

Insbesondere Keith Moon hämmerte auf sein Schlagzeug ein, als habe er etwas gegen das Instrument. Roger Daltrey spielte mit seinem Mikrokabel, als sei es ein Lasso. John Entwistle gab sich am Rande eher unauffällig. Erst Jahre später fand ich heraus, wie wichtig sein verzerrter Bass für den Who-Sound war.

Kopf der Band war natürlich Pete Townshend, der damals schon seinen berühmten Windmühlenschlag drauf hatte. Mit der rechten Hand schlug er die Saiten an und ließ dann seinen Arm derart rotieren, dass man meinte, er sei nur sehr locker mit dem Köper verbunden. Aber all das war natürlich nur Nebensache, weil alle auf das warteten, was am Ende des höchstens halbstündigen Auftritts passieren sollte. Natürlich spielten die Who am Schluss den Kracher „My Generation“, die Hymne aller junger Menschen mit ein bisschen Aufruhr im Blut. „Hope I die before I get old“, hieß es darin. Lieber sterben als alt werden, das war die Devise.

Danach zerlegte die Band ihre Ausrüstung. Townshend hieb mit seiner Gitarre auf seinen Verstärkerturm ein, aber der erwies sich als äußerst robust, so dass er mehrere Attacken brauchte, bis er am Boden lag. Danach nutzte er die Gitarre wie ein Beil.

Gleichzeitig malträtierte Moon sein Drumset und trat mit den Füßen nach Becken und Trommeln. Sehr wild. Sehr aufregend. Irgendwann nahm er eine Trommel und warf sie ins Publikum. Dem Vernehmen nach soll sie jemanden am Kopf getroffen haben.

Ich habe das nicht mitbekommen, aber es war danach lange Stadtgespräch unter kundigen Musikfans, und ich konnte immer stolz sagen: „Ich war dabei.“ Meine Mutter war allerdings weniger angetan von dem Geschehen. „Zu so etwas gehen wir nicht mehr“, sagte sie, und das bedeutete dann zwei Jahre Konzertverbot. Da fühlte ich mich wirklich schlecht und sang zu Hause umso lauter mit, wenn ich „My Generation“ auflegte: Hope I die before I get old.

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