Social Media: „Das richtige Leben ist das nicht“

Soziale Netzwerke wie Instagram und Facebook können abhängig und depressiv machen — sagen Studien. Was Schüler, ein Psychologe und die Schule dazu sagen.

Social Media: „Das richtige Leben ist das nicht“
Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Warum sie sich noch nicht bei Instagram angemeldet hat? Sie hat Angst, dass andere etwas Gemeines unter ihre Fotos schreiben könnten. Und dass ihre Mitschüler sich durch den Gebrauch dieses sozialen Netzwerks teilweise sehr verändert haben, hat sie auch bemerkt. Florentine Morys ist elf Jahre alt, besucht die sechste Klasse des Görres-Gymnasiums an der Königsallee. Snapchat, Whatsapp und Youtube nutzt sie aber schon.

Social Media: „Das richtige Leben ist das nicht“
Foto: dpa

Glaubt man der Studie der „Royal Society for Public Health“, dann tut Florentine gut daran, ausgerechnet Instagram zu meiden. Die Wissenschaftler kamen im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass das Foto-Netzwerk am schädlichsten für das Seelenleben junger Erwachsener ist. Die ständige Konfrontation mit scheinbar perfekten Menschen führte bei den Studienteilnehmern zu einem verminderten Selbstbild, einer negativen Körperwahrnehmung und depressiven Stimmungen.

Dazu muss man wissen: Auf Instagram sind alle schön. Und gut gelaunt und ständig im Urlaub. Bestens bezahlte Influencer bewerben ganz beiläufig die Must-haves der Saison, Mogel-Apps wie Facetune glätten die Haut, vergrößern die Augen, verschlanken die Taille. Und nicht nur Jugendliche nutzen Instagram — Whatsapp, Snapchat und Facebook haben festen Stellenwert im Alltag vieler, 2016 gab es in Deutschland laut dem Institut Statista 45 Millionen Social-Media-Nutzer, 2022 sollen es 48 Millionen sein.

Interessant: Eine Forsa-Studie im Auftrag der DAK-Krankenkasse hat vor wenigen Tagen ergeben, dass mehr als 100 000 Teenager süchtig nach Social Media sind. Das entspricht 2,6 Prozent aller Zwölf- bis 17-Jährigen. Den Erkenntnissen des Deutschen Zentrums für Suchtfragen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zufolge verbringen Jungen und Mädchen in dem Alter im Schnitt zweieinhalb Stunden pro Tag in den Netzwerken. Und manche eben noch mehr.

Lena Best ist 15 Jahre alt, geht in die neunte Klasse am Görres. Ihr Instagram-Profil ist privat, nur die, denen sie es erlaubt, können ihre Bilder sehen. Das machen nicht alle in ihrem Alter so: „Ich habe eine Freundin, die hat schon 10 000 Follower“, erzählt Lena. „Und ist schon sehr damit beschäftigt. Wir waren letztens essen und ich durfte meins nicht anrühren, bis sie ein Foto gemacht hatte.“ Viele Fotos würde die Freundin am Tag teilen, die Instagram-Gemeinde will unterhalten werden. Vor jedem Posting die bange Frage, ob das Bild auch gut ankommt.

Das Gefühl kennt auch Lena, auch wenn sie nur ein mal pro Woche etwas teilt. Trotzdem ist sie manchmal unsicher, ob das Geteilte dann auch gut ankommt. Besonders viele „Likes“ seien ihr zwar nicht wichtig, missfallen solle das Ganze aber nicht.

Felix Segbers ist 16 Jahre alt und geht in die elfte Klasse. Er hat Accounts auf den meisten Social-Media-Plattformen, bezeichnet sich selbst aber als nicht besonders aktiv. Bei Instagram hat er gerade mal zwei Bilder online. „Viele setzen sich viel zu sehr unter Druck bei der Suche nach Likes“, findet er.

Zu Dietmar Langer in die Klinik kommen auch Jugendliche, die unter Stresskrankheiten wie chronischen Kopf- und Bauchschmerzen leiden. „Man muss beim Thema Aufmerksamkeit eines verstehen: Wenn ich mich konzentriere, geschieht das aus der Ruhe heraus. Es gibt aber noch einen zweiten Modus im Gehirn, den Scan-Modus, der auch beim Autofahren aktiv ist. Und in dem befinden wir uns auch, wenn wir durch die Instagram-Timeline scrollen oder fernsehen. Das Stresszentrum ist permanent aktiv“, erklärt der Diplom-Psychologe. Social Media könne beides: Probleme verstärken und Probleme verursachen. Wer zu früh zu viel „scanne“, verlerne auch schlicht die Fähigkeit der Konzentration. „Man kann die sozialen Netzwerke nicht verteufeln, viele kommen auch gut damit zurecht. Aber Eltern müssen die Nutzung regulieren. Ein 14-Jähriger kann vielleicht schon gut argumentieren, aber die Konsequenzen seines Tuns kann er noch lange nicht absehen.“ Er rät: Die Kinder sollten das Handy vorm Schlafengehen abgeben. „Sonst daddeln die noch stundenlang im Netz.“

Im schlechtesten Fall führe dieses übermäßige „Daddeln“ zu Konzentrationsstörungen, einer geringen Frustrationstoleranz, Schlafstörungen, wenig echten Kontakten oder Depressionen — wie bei seinen Patienten. Die Gefahr des ständigen sich Vergleichens mit Instagram-Models und Influencern sei bei Mädchen besonders groß. Vor der fünften Klasse rät Langer grundsätzlich vom Smartphone ab.

Lenas Freunde gehen auch manchmal Fotos machen. Bis zu zwei Stunden kann das dauern, nur für das perfekte Bild. Felix kommentiert: „Das ist einfach nicht das echte Leben.“ Und das fängt schon früh an, weiß Florentine: „Viele in meiner Klasse haben auch schon Instagram. Von der vierten zur fünften Klasse hat sich schon viel verändert, plötzlich hatten alle Instagram.“ Manchmal störe es sie, wenn alle nur da sitzen, aufs Handy schauen und darüber reden, wer gerade was gepostet hat. „Wirklich unterhalten ist das ja nicht.“

Social Media gehöre zum Alltag, aber: „Ein großer Zeitfresser ist das schon“, sagt Felix. Er beschreibt eine typische Szene: Am Wochenende, wenn er aufwacht, bleibt er erst mal liegen und scrollt durch seinen Facebook- und Instagram-Account, schaut nach, wer bei Snapchat und Whatsapp geschrieben hat. „Da geht dann locker mal eine halbe Stunde drauf.“

Einig sind sich die drei in einem weiteren Punkt: Ein Ort ohne W-Lan ist ein schlechter. Apps wie Snapchat sorgen auch aktiv dafür, dass das so wahrgenommen wird: Wer besonders viele Snaps, also lustige Bilder von sich und allem möglichen, mit einer Person austauscht, sammelt Flammen. Je mehr, desto besser. Wenn aber 24 Stunden lang kein Bild gesendet wurde, verfallen diese Flammen. Und das soll auf keinen Fall passieren. „Die vom Humboldt-Gymnasium“, erzählt Felix, „die fahren oft auf Klassenfahrt ins Hinterland. Die geben dann ihre Accounts an Freunde weiter, die hier bleiben, damit die weiter schicken können.“

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