Senioren oder Fahranfänger — wer baut die meisten Unfälle?

Düsseldorfer Experten sagen: Klischees über rasende Junge und umsichtige Alte stimmen so nicht. Die Polizei nimmt beide Gruppen ins Visier.

Düsseldorf. Junge Autofahrer sind brandgefährlich, Senioren hingegen fahren vorsichtig und sicher. So sehen es viele. So stellt es auch der ADAC in seinen offiziellen Standpunkten dar: Die 18- bis 24-Jährigen machen nur wenige Prozent der Bevölkerung aus, verursachen aber ein Viertel aller Unfälle mit Verletzten. Die Menschen über 60 dagegen sind eine Riesengruppe und gemessen daran nur selten Unfallverursacher. Aber Düsseldorfer Experten und auch die Statistik sagen: So einfach ist es nicht.

Tatsächlich ist die Unfallbelastung der jungen Erwachsenen besonders hoch: Statistisch verunglückten 924,3 18- bis 24-Jährige pro 100 000 Einwohnern im vergangenen Jahr. Bei den über 65-Jährigen waren es nur 294,8. Ein anderes Bild allerdings ergibt der Blick speziell auf die Autounfälle: Senioren waren an 819 Unfällen beteiligt, davon 627 Mal als Verursacher. Die jungen Erwachsenen verursachten mit 537 von insgesamt 807 Unfällen vergleichsweise weniger Zusammenstöße.

„Wenn Senioren an einem Unfall beteiligt sind, sind sie bei zwei Dritteln auch Verursacher“, fasst Polizeisprecherin Susanna Heusgen zusammen. „Dieser Anteil ist schon hoch. Grundsätzlich fahren Senioren aber vorsichtiger.“ Wohl auch deshalb sind die Unfallfolgen für die Senioren oft glimpflicher: Bei insgesamt 1012 Unfällen verunglückten 343 Senioren; unter den jungen Erwachsenen gab es bei 928 Unfällen 394 Verletzte und Tote. Allerdings zeigt eine Aufschlüsselung dieser Zahlen: Vor allem bei den Leichtverletzten liegen die 18- bis 24-Jährigen vorne, in ihrer Gruppe gab es „nur“ zwei Tote und 48 Schwerverletzte. Bei den Seniorenunfällen hingegen verzeichnete die Polizei acht Todesopfer und 69 Schwerverletzte.

„Senioren haben es im Straßenverkehr schwerer“, sagt Thorsten Drewes von der Verkehrsdirektion der Polizei. Wie Kinder werden die über 65-Jährigen daher als „schwache Verkehrsteilnehmer“ eingeordnet. Denn ihr Verletzungsrisiko ist schon wegen der zunehmenden körperlichen Schwäche größer.

Aber Senioren verletzen sich nicht nur leichter, sagt Prof. Dr. Axel Buchner, Psychologie-Professor der Heine-Uni. Sie verletzen auch andere öfter. Statistiken, die den Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung und ihren Anteil an den Unfällen gegenüberstellen, seien unehrlich: „Die jetzt 80-Jährigen haben oft keinen Führerschein — gerade die Frauen. Und sie fahren weniger.“ Gerade im Vergleich zu den jüngeren Erwachsenen, die heute mobil sein und oftmals zwischen den Städten zur Uni oder Arbeit pendeln müssen.

Vielmehr müsse man die Unfallhäufigkeit in Relation zu den gefahrenen Kilometern setzen. „Und dann sind die 70- bis 80-Jährigen ebenso gefährlich wie Fahranfänger“, sagt Buchner. Studien gebe es etwa aus den USA: Statistisch verursache ein 80-Jähriger dort pro einer Milliarde gefahrener Kilometer 20 Todesopfer, eine Frau Mitte 30 hingegen drei Tote. Allerdings unterscheiden sich bei den ganz Jungen und den ganz Alten die Unfallursachen: Während die Fahranfänger eher rasen, nehmen bei den Senioren die Vorfahrtsfehler zu — etwa wegen des schlechteren Sehvermögens oder körperlichen Einschränkungen beim Schulterblick.

Die Polizei hat beide Altersgruppen im Visier. In Düsseldorf soll dieses Jahr das Programm „Crashkurs“ eingeführt werden. Das Konzept stammt aus England und wurde erfolgreich in acht NRW-Polizeibehörden getestet: Angehörige von Unfallopfern — etwa die Mutter eines getöteten Fahranfängers — sprechen vor Schulklassen über ihre Erlebnisse. Ein schonungsloser Weg, um das Bewusstsein für Gefahren im Verkehr zu stärken. „Wir sind gerade in der Planungsphase“, sagt Thorsten Drewes.

Für die Senioren gibt es Fahrradgruppen mit Verkehrssicherheitsberatern und Rollatortrainings. Die Bewertung ihrer Fitness am Steuer hingegen bleibt den Senioren vorerst selbst überlassen. „Man sollte seine Augen regelmäßig überprüfen lassen und sich selbst kritisch hinterfragen“, sagt Susanna Heusgen. Verpflichten könnte indes nur die Politik die Senioren zur Überprüfung ihrer Fahrtüchtigkeit. Und dies ist bislang nicht in Sicht.

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