Seelsorge: Wegbegleiter im Notfall

Christoph Dörpinghaus und Olaf Schaper betreuen Angehörige in ihren schlimmsten Stunden.

Düsseldorf. Mit Blaulicht wurde Olaf Schaper am Morgen des 28. Oktober 2008 von der Polizei nach Rath eskortiert. Der 14-jährige Schüler Youssef war vor eine einfahrende Bahn gelaufen, mitgeschleift und getötet worden. Vor den Augen seiner Mitschüler. "Diesen Tag werde ich nie vergessen."

Seine Familie lebte nicht weit von der Haltestelle entfernt, seine Mutter war Minuten später vor Ort. Olaf Schaper erlebte den Unfall nicht mit, er sah sich auch nicht die Leiche an - freiwillig tut er das nie. "Aber ich war Augenzeuge von vielen unfassbar traurigen Gesichtern."

Olaf Schaper ist evangelischer Pfarrer. Aber ein ganz anderer. Schon sein Büro ist anders. In einer Ecke stehen zwei Trommeln, an der Wand hängen afrikanische Tücher und Masken, ein Teddy in Feuerwehruniform sitzt in einem Sessel. Im Regal stehen Bücher wie "Wenn Polizisten töten" und "Folter" neben der Bibel. Seit 14 Jahren ist Schaper der leitende Notfallseelsorger der Stadt.

Als er anfing, hieß es an Einsatzorten und Unfallstellen nicht selten, der "Seelen-Fuzzi" sei jetzt da. Inzwischen ist das System in Düsseldorf ausgebaut und anerkannt. Seit April teilt sich Schaper die Leitung der Notfallseelsorge mit Gemeindereferent Christoph Dörpinghaus - ein Katholik. Auf über 30 geschulte Kollegen greifen die beiden für die 24-Stunden-Bereitschaft zurück. In diesem Jahr werden acht weitere ausgebildet, diesmal aber alle ohne einen kirchlichen Hintergrund.

Olaf Schaper haben das menschliche Leben und sein Ende schon früh fasziniert - nicht nur in religiöser Hinsicht. Als Student arbeitete er ehrenamtlich in einer Klinik. "Damals starb dort ein nierenkrankes Mädchen", erzählt er. Ein einschneidendes Erlebnis, das ihm aber auch beibrachte: "Menschen können Trauer." Sie brauchen manchmal nur jemanden, der sie daran erinnert.

Der Job von Olaf Schaper, Christoph Dörpinghaus und ihren Kollegen, wenn sie zu einem Todesfall gerufen werden, ist ein betont rationaler. Sie sortieren in einem unsortierten Moment: Was ist jetzt zu tun, wer ist anzurufen? So schlagen sie eine Brücke zwischen dem Schock und der Leere danach. Dörpinghaus: "Ich war jüngst bei einem plötzlichen Kindstod. Da kommen zwei Rettungsassistenten, der Baby-Rettungswagen der Uni-Klinik, der Notarzt, die Polizei." Die Hütte sei plötzlich voll mit Menschen in Einsatzkleidung. "Und dann sind alle genauso plötzlich wieder weg", ergänzt Olaf Schaper, "die Eltern allein. Aber einer bleibt da. Wir sind Wegbegleiter, die nicht weglaufen, wenn die Situation eigentlich zum Weglaufen ist." Sie bieten an, ertragen zu helfen. Manchmal ohne Worte.

Aber die Unterstützung kann auch sehr praktischer Natur sein. Der Notfallseelsorger ist immer dabei, wenn die Polizei Angehörigen eine Todesnachricht überbringt; steht daneben, wenn der hartgesottene Kripo-Beamte mit zitterndem Finger die Klingel drückt. "Die Reaktion der Angehörigen ist immer die gleiche: Hat er leiden müssen? Wo ist er? Ich will zu ihm", zählt Olaf Schaper auf. Oft kann er inzwischen in Zusammenarbeit mit Polizei und Rechtsmedizin den Wunsch erfüllen, den Toten noch einmal zu sehen - Abschied zu nehmen, aber auch dem Verlust ein Antlitz zu geben, ihn von abstrakt in konkret zu verwandeln. Die Notfallseelsorger helfen auch, zu begreifen.

Anders als ein Gemeindepfarrer teilt Olaf Schaper nicht Freud und Leid mit seinen Schäfchen, sondern immer nur das Leid. Aber während die Opfer kommen und gehen, sind die Feuerwehrleute eine Konstante. Seine Gemeinde. Seit zehn Jahren bietet er in der Thomaskirche in Mörsenbroich After-Work-Gottesdienste für die Rettungskräfte an. "Und mittlerweile hatte ich viele schöne Trauungen mit Feuerwehrleuten." Gemeinsam all das Leid zu bezeugen, schweißt zusammen. Und der Zusammenhalt lässt vieles aushalten. Er und die Erkenntnis: "Es ist schrecklich. Aber es ist nicht mein Leid", sagt Christoph Dörpinghaus. Die Notfallseelsorger können eben nur helfen. Abnehmen können sie den Opfern nichts.

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