Schreiben ohne Grenzen in Düsseldorf

Wie blicken geflüchtete und internationale Journalisten auf ihr neues Leben in ihrer neuen Heimat Deutschland? Die Mitglieder der Gruppe „Schreiben ohne Grenzen“ haben mit unserer Redaktion eine besondere Ausgabe gestaltet.

Schreiben ohne Grenzen in Düsseldorf
Foto: Senner, Esch, Herrendorf, Frank, Koch

Düsseldorf. Viele geflüchtete Journalisten haben Glück, weil sie mit ihren Familien eine neue Heimat ohne Krieg gefunden haben. Aber manche geflüchtete Journalisten sind deprimiert, weil sie merken, dass es hier sehr schwierig ist, als Journalist zu arbeiten. Und zu den materiellen Problemen kommt der Wunsch, eine sinnvolle Aufgabe zu haben: „Frieden und Sicherheit sind nicht alles.“

(Ajmal Mayel)

So wie ich, mussten auch viele andere Journalisten aus Syrien, Uganda, Afghanistan, Pakistan, Aserbaidschan und anderen Ländern in den vergangenen Jahren ihr Heimatland verlassen. Sie kommen aus Kriegs- und Krisengebieten oder wurden in pressefeindlichen Staaten wegen kritischer Berichterstattung verfolgt.

Deswegen haben das Literaturbüro NRW, die Heinrich-Heine-Universität und die Volkshochschule Düsseldorf ein Projekt gestartet, das geflüchteten und internationalen Schreibenden helfen soll, mit ihrem Beruf in Deutschland Fuß zu fassen. Die Gruppe heißt „Schreiben ohne Grenzen — Writers’ Room“ und trifft sich ein Mal pro Woche in einem Raum der Volkshochschule. Maren Jungclaus vom Literaturbüro, Julia Koch, Lisa Ringele, Anika Rühl, Sarah Jansen und Jan-Philip Clooth von der Heinrich-Heine-Universität (Abteilung Bildungsforschung und Bildungsmanagement, geleitet von Heiner Barz) wie auch Redakteure oder andere Gäste unterstützen uns, indem sie beim Satzbau und Ausdruck helfen oder Übersetzungen von Artikeln aus einer fremden Sprache in gutes Deutsch und in die richtige Form bringen. Und nun hat unsere Gruppe die Texte für diese Ausgabe geschrieben.

(Mouayad Atfeh, Karina Rodriguez und WZ-Redakteur Alexander Esch bei der Pressekonferenz zum Frankreichfest.)

Themen bei den Treffen sind zum Beispiel diese: Wie denken Sie über ihre neue Heimat? Was deprimiert sie, worauf hoffen Sie? Was wäre, wenn Sie einfach mal alles aufschreiben könnten, einen Brief an Deutschland verfassen? Meine Hoffnung ist es, gemeinsam endlich wieder ein „Redaktionsräume-Gefühl“ zu entwickeln und das Gefühl zu bekommen, „endlich wieder produktiv sein zu dürfen“.

Auch der 36-jährige afghanische Journalist Zabihullah Puya ist dankbar für sein neues Leben in Deutschland. Er hat für „Radio Bayan“ in der Deutschen Armee in Afghanistan gearbeitet. Puya entschloss sich, mit zivilen Mitteln die Terrorherrschaft zu bekämpfen als Journalist beim größten afghanischen Sender. Er berichtet: „Meine Kollegin Palwasha Tokhi im afghanischen Mazar-i-Sharif wurde am helllichten Tag ermordet. Wie viele ihrer Kollegen wurde auch sie zuvor bedroht. Bis 2012 hatte Palwasha Tokhi in einem Bundeswehrlager gearbeitet.“ Gerade erst war sie aus Thailand zurückgekehrt, wo sie Jura studiert und einen Masterabschluss erworben hatte. Zwei Monate nach ihrer Heimkehr nach Afghanistan war Palwasha Tokhi tot. Sie wurde am Eingang ihres Hauses ermordet. Vor ihrem Tod hatte sich Tokhi nach Angaben ihres früheren Arbeitgebers „Radio Bayan“ an die Bundeswehr gewandt und eine Ausreisegenehmigung nach Deutschland beantragt mit der Begründung, dass sie bedroht werde.

(Ersin Dalga und Studentin Sarah Jansen, die das Projekt "Schreiben ohne Grenzen" begleitet, besuchten die Bezirksvertretung 1.)

„Manche meiner Kollegen hatten angegeben, Drohungen von den Taliban erhalten zu haben, und jetzt sie sind hier, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen“, sagt Zabihullah Puya. „Die nördliche Provinz Mazar-i-Sharif gilt als eine der sichersten Städte Afghanistans. Doch auch Bedrohungen durch Regierungsmitarbeiter seien nicht auszuschließen. Für Journalisten ist die Provinzhauptstadt allerdings seit Jahren ein schwieriges Pflaster.“

(WZ-Redakteur Thomas Frank, Salah Ngab und Redaktionspraktikantin Loreleï Holtmann bei einem Pressetermin in einer Flüchtlingsunterkunft.)

Zabihullah Puya floh nach Deutschland und lebt seit Februar 2016 mit seinen Kindern in Düsseldorf. „Obwohl wir hier in Sicherheit leben und alles haben, was wir brauchen, ist das Leben nicht einfach. Wir müssen bei Null anfangen“, sagt er in seinem Brief an Deutschland, den er im Kurs geschrieben hat. Seine Kinder haben bereits Pläne: Der Sohn möchte Fußball spielen lernen, die dreijährige Tochter möchte Ärztin werden. Zabihullah Puya hofft ebenfalls auf eine Zukunft — als Journalist. „Liebes Deutschland, ich will ein vollwertiges Mitglied deiner Gesellschaft werden, meine Steuern zahlen wie jeder andere“, schreibt er.

Häufig sind es vor allem engagierte Journalisten, die vor Repressionen fliehen müssen. Für ihre kritische Berichterstattung werden sie drangsaliert, bedroht, verfolgt oder sogar getötet. Viele fürchten nicht nur um sich, sondern auch um ihre Familien. Und das leider zu Recht: Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ zählte für das vergangene Jahr insgesamt 74 Morde an Medienschaffenden, 53 wurden gezielt wegen ihrer Arbeit getötet. Andere starben während eines Einsatzes. Die gefährlichsten Länder für Journalisten sind nach wie vor Syrien, Afghanistan, die Ukraine, der Irak und der Jemen. In diesen Ländern werden kritische und unabhängige Medien nach und nach geschlossen, Reporter bedroht oder auch an der Ausreise ins Ausland behindert.

(Arbeit in der Redaktion: Albaraa Alsaadi und WZ-Redaktuerin Nele Dohmen, rechts Ajmal Mayel und WZ-Redakteur Peter Littek.)

Viele geflüchtete Journalisten müssen ganz von vorne anfangen — und sich oftmals zunächst von ihrem Traumberuf verabschieden. Der Prestigeverlust wiegt schwer. „Das ist sicherlich frustrierend“, sagt Zabihullah Puya. In Deutschland hören wir wie oft die Frage nach der eigenen Identität. Wer sind wir? Was machen wir? Was haben wir für Stärken und Schwächen...? Man könnte meinen, dass wir uns entwickeln, doch gleichzeitig entwickeln wir uns zurück.

Auch für die Mitglieder von „Schreiben ohne Grenzen“ ist die Zukunft ungewiss. Vielleicht ist ihr „Redaktionsraum“ in der Volkshochschule ein erster Schritt auf dem Weg zurück in den Beruf als Journalist.

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