Schräg und schrullig statt sentimental

Mit „Honig im Kopf“ gelingt René Heinersdorff ein tragikomischer Abend. Armin Wolff überzeugt in der Rolle eines Dementen.

Schräg und schrullig statt sentimental
Foto: Theater an der Kö

Düsseldorf. Alzheimer ist sicherlich nicht zum Lachen. Weder für die Betroffenen noch für ihre Familie, die zusehen muss, wie ihre Liebsten geistig veröden und mit abstrusen Taten ihre Umgebung in Angst und Schrecken versetzen. Dass René Heinersdorff dieses Thema mit dem Stück „Honig im Kopf“ auf die Bühne des privat finanzierten Theaters an der Kö bringt, zeigt Mut zum geschäftlichen Risiko. Denn einen leichten Boulevard-Abend, der sich gut vermarkten lässt, bietet seine Inszenierung des gleichnamigen Kinohits mit Til Schweiger (mit sieben Millionen Zuschauern) sicherlich nicht. Wenn auch manch tragikomische Szenen für kurze Sekunden befreiende Heiterkeit hervorrufen, so vergeht einem doch das Lachen. Dennoch wurde die gut besuchte Premiere gebührend gefeiert.

Wenn Opa Amandus (Achim Wolff) in den Kühlschrank pinkelt oder sich die Hosen verkehrt herum anzieht, dann sind das Momente, die unfreiwillig schmunzeln lassen. Doch für seinen Sohn Nico (Karsten Speck) ist das alles andere als lustig. Noch weniger für dessen Frau Sarah (Astrid Kohrs). Von den ersten Auffälligkeiten an, plädiert sie dafür, dass man den Schwiegervater in eine Seniorenresidenz verfrachten solle. Doch Enkelin Tilda (Anne Bedenbender) liebt den Opa über alles, will da nicht mitmachen, streitet mit ihren Eltern. Und sucht einen Ausweg.

Solche Diskussionen und Situationen kennen alle, in deren Familien ein Demenzkranker lebt oder gelebt hat. Und jeder gerät ins Grübeln, welcher Weg der Beste ist oder gewesen wäre. Heinersdorffs Bühnenfassung, die auf Rückblenden aus der Perspektive der Enkeltochter baut, verzichtet auf Schnickschnack, sondern setzt auf den fast 80-jährigen TV- und Bühnen-Profi Achim Wolff. Und auf ein karges Dekor, das mit mobilen Wänden schnelle Stimmungs-Wechsel erzeugt, um die letzten Lebens-Stationen des Großvaters nachzuzeichnen.

Körperlich fit, würdevoll und menschlich anrührend bringt Wolff den demenzkranken Opa über die Rampe. Ein bisschen schräg und schrullig spielt er den Witwer, der mit seiner Frau im Himmel Zwiesprache hält. Dabei vermeidet Wolff Sentimentalitäten, reißt Witzchen und hält seine Familie auf Trab. Sein Langzeit-Gedächtnis funktioniert vorzüglich. Erinnerungen an seine Frau Margarethe und an die Venedig-Reise vor 40 Jahren sind gestochen scharf. Das, was er vor einer Minute gesagt oder getan hat, weiß er indes nicht mehr. Er spricht aber offen darüber, dass er „Honig im Kopf“ hat. Er beschreibt seinen Zustand mit erstaunlich klaren Worten.

Ob das der Normalfall bei Alzheimer-Patienten ist, scheint mehr als fraglich. Der Blick aus Tildas Augen ist naiv, streckenweise kindlich; denn sie (mädchenhaft und stark gespielt von Anne Bedenbender) genießt den Vorteil der Jugend, blendet die Krankheit ihres Opas aus und fährt mit ihm im ICE nach Venedig. Eine Reise mit Hindernissen an die Orte der Erinnerung an die schöne Zeit des Lebens. Ex-Serienheld Karsten Speck — mit 56 Jahren auch langsam in die Jahre gekommen — mimt den treusorgenden Vater, Ehemann und Sohn. Er liebt Amandus, verteidigt ihn auch in auswegloser Lage. Das macht Speck glaubhaft. Er überzeugt — routiniert, aber ohne Tiefgang — in den meisten Szenen, die in Heinersdorffs ambitionierter Regie Schlag auf Schlag kommen. Nur selten hängt das Tempo durch. Solide auch Astrid Kohrs, die die streitlustige Ehefrau Sarah gibt. Allzu gerne nutzt sie die Seitensprünge ihres Mannes für eigene amouröse Abenteuer mit ihrem Chef und spricht offen darüber. Insgesamt ein wenig amüsanter, dafür nachdenklicher Abend über eine Krankheit, an der in Deutschland etwa 1,2 Millionen Menschen leiden.

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