Schizophrenie: „Mutter könnte noch leben“

Vor zwei Monaten wurde Elfriede H. von ihrem kranken Sohn Jörg im Wahn erstochen. Sein Bruder Daniel berichtet von einem bedrückenden Leben.

Düsseldorf. Dass eines Tages etwas Schlimmes passieren würde, hatte Daniel schon seit langer Zeit geahnt. Spätestens Weihnachten war ihm endgültig klar, dass sein Bruder Jörg sehr bald austicken würde. So wie er es schon oft getan hat, seit bei ihm vor sieben Jahren eine schizophrene Psychose ausgebrochen ist. "Wir dachten, er würde sich etwas antun", erinnert sich Daniel.

Am 16. Januar bringt Jörg seine Mutter um. Weil Stimmen, die nur er hört, es ihm befohlen hätten, sticht er in seiner Wohnung in Flingern mit einem Messer auf seine Mutter Elfriede ein. Jörg soll seine Mutter zunächst gewürgt und dann erdrosselt haben. Einen Tag verbringt er im Badezimmer neben der Leiche seiner Mutter, dann ruft er die Polizei: "Ich will einen Mord anzeigen."

"Eigentlich sollte 2007 ein ganz besonderes Jahr für uns werden", sagt Daniel. Anfang Februar war die Beerdigung seiner Mutter. Anstatt nach der langen und schmerzhaften Trennung vom Vater vor anderthalb Jahren gemeinsam endlich in ein neues Familienleben zu starten, kümmert sich der 24-Jährige jetzt um den Nachlass der Mutter. Berge von Papierkram, Versicherungen kündigen und die ganzen persönlichen Dinge, sagt Daniel. Auch um das Erbe muss er sich kümmern. Jörg bekommt die Hälfte, so will es das Gesetz. "Nicht schuldfähig", das haben Gutachter dem 27-Jährigen nach der Tat bescheinigt.

Seit jenem Dienstag im Januar hat Daniel seinen Bruder nicht mehr gesehen. "Ich kann ihm das nicht verzeihen, ich habe meine Mutter geliebt", sagt Daniel. "Obwohl ich verstehe, warum er das gemacht hat." Als angehender Altenpfleger weiß er, dass Schizophrene nicht zwischen Realität und Wahn unterscheiden können. "Auch Jörg hat unsere Mutter geliebt. Aber er ist krank und braucht Hilfe. Was er getan hat, versuche ich zu entschuldigen."

Daniel H., Jörgs Bruder

Am 1. Weihnachtstag fährt Daniel seinen Bruder in die Psychiatrie. "Er hat gemerkt, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung ist und wollte eingewiesen werden", erzählt Daniel. "Jörg hat geglaubt, meine Mutter und ich würden ihn ausspionieren und ihm was Böses wollen." Stimmen warnen Jörg vor seiner Familie. Jörg kann zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zwischen seinem Wahn und Realität unterscheiden. Richtig, falsch, Freund, Feind - wer weiß das schon? Er jedenfalls nicht.

Einen Tag später will Jörg wieder raus aus der Geschlossenen - gegen seinen Willen kann ihn niemand aufhalten. Er geht. Obwohl Mutter Elfriede und Bruder Daniel ihn versuchen zu überreden, in der Klinik zu bleiben. Er will nur raus, nur weg in seine Wohnung. Sein Schlafzimmer hat er von oben bis unten schwarz gestrichen. So sei das Leben für ihn einigermaßen erträglich, erzählt er irgendwann Daniel.

Er glaubt, man wolle ihn in der Psychiatrie mit Neuroleptika vergiften. Das behauptet Jörg oft, wenn es um das Thema Medikamente geht. "Jörg versteht gar nicht, was passiert, warum er die Medikamente nehmen muss", sagt Daniel. Wobei in den vergangenen Jahren Schübe der Krankheit bei Jörg immer wieder für Aufenthalte in der Psychiatrie und Therapieversuche gesorgt haben.

Sein letzter Therapeut hat im Winter die Behandlung abgebrochen - mangels Erfolgsaussichten. Daniel und Mutter Elfriede sind damit nicht einverstanden. Sie glauben, dass der Therapeut Jörgs Gefahrenpotenzial nicht richtig einschätzt. Sie reden mit dem Therapeuten, sie reden mit Jörg, weiter in Behandlung zu bleiben. "Er war eine tickende Zeitbombe", sagt Daniel. Wieso hat das niemand gemerkt, fragt sich Daniel. Wären Jörgs Therapeut und sein amtlich bestellter Betreuer aufmerksamer gewesen, meint Daniel, seine Mutter könnte noch leben. "Das einzige, was er nachher zu uns gesagt hat, ist: ,Ich hätte niemals gedacht, dass Jörg so brutal sein kann’", erzählt Daniel.

Daniel H.

"Eigentlich hätte Jörg in die Geschlossene gehört", sagt Daniel. Aber: "Darf man jemanden einsperren, weil er seine Tabletten nicht nehmen will?" Am Tag der Tat will Mutter Elfriede gemeinsam mit Jörg noch einmal zum Therapeuten, einen Termin hat sie ausgemacht und ihren Sohn irgendwie am Telefon überredet, mitzukommen. Alles war ausgemacht.

Krankheit Schizophrenie ist eine schwere psychiatrische Erkrankung, die Veränderungen der Gedanken, Wahrnehmung und des Verhaltens auslöst. Erkrankte können zeitweise nicht zwischen Wirklichkeit und der eigenen Vorstellung unterscheiden. Mit einer Persönlichkeitsspaltung hat sie aber nichts zu tun. Wirkt die schizophrene Psychose mit voller Kraft, schwinden Konzentration und Aufmerksamkeit. Häufig kommt es auch zu Wahrnehmungsstörungen, und sogar Gerüche, Geschmack und Geräusche können sich verändern.

Zahlen Laut "Kompetenznetz Schizophrenie" erkranken geschätzt etwa 800 000 Menschen in Deutschland mindestens einmal im Leben an einer Schizophrenie, meist zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr. Männer und Frauen betrifft die Erkrankung gleich häufig. In Düsseldorf leben schätzungsweise 5000 Menschen mit der Krankheit. Weil die Dunkelziffer hoch ist, dürfte die Zahl größer sein.

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