Reportage: Auf Streife mit dem Einsatztrupp Jugend

Neun Polizisten kümmern sich um Düsseldorfs Intensivtäter. Ihre Klientel: Jugendliche, die oft chancenlos sind — und gefährlich.

Düsseldorf. Der Junge in Handschellen, auf dessen Rücken Kriminalhauptkommissar Thorsten Schmieder sitzt, ist erst 16 Jahre alt. Er ist sturzbetrunken.

Schmieder (alle Namen der Zivilpolizisten und Jugendlichen geändert) kennt Jerome gut. Er weiß, dass in der Akte des Jugendlichen gefährliche Körperverletzungen stehen, Raub und Sachbeschädigungen. Allein heute soll er sich geprügelt, randaliert, Briefkästen zerdeppert haben — und es ist noch nicht einmal dunkel. Der 16-Jährige ist Intensivtäter.

Wie die meisten seiner Freunde, die um ihn und Thorsten Schmieder herumstehen. Der Hauptkommissar vom Einsatztrupp Jugend sollte heute eigentlich nur zu einer Gefährderansprache bei einem Mädchen, das im Internet einer Schulkameradin gedroht hatte. Er sollte eigentlich längst im Feierabend sein. Eigentlich.

Der spezialisierte Einsatztrupp wurde in Düsseldorf 2005 gegründet, um besonders Mehrfach- und Intensivtäter im Auge zu behalten. Im Gruppenraum an der Karl-Rudolf-Straße bereiten sich Thorsten Schmieder und Kollege Joachim Manthel am Mittag auf den Einsatz vor.

Die Gesichter der Jugendkriminalität prägen das Zimmer: An einer Wand hängen Schwarz-Weiß-Fotos der 37 härtesten Jungtäter. Der jüngste ist erst 13 Jahre alt.

Ein Gesicht schauen sich Schmieder und Manthel heute noch einmal gründlich an. Wolfgang Wierich, Leiter des Jugendkommissariats, ist gerade mit einem Haftbefehl für den 19-jährigen Simon Ritz zu ihnen gekommen.

Er soll eine Seniorin aus einem Altenheim in seiner Nachbarschaft überfallen haben. „Alle Kollegen im Kommissariat kennen ihn“, sagt Wierich. Der 19-Jährige konsumiert Drogen, lebt meist auf der Straße, verdient sich seit frühester Jugend seinen Lebensunterhalt durch Straftaten.

Zwei andere Intensivtäter sind bereits in der Nacht nach einem Straßenraub in Vennhausen festgenommen worden. Wolfgang Wierich verzieht das Gesicht, als er in die Akten der 18 und 21 Jahre alten Männer blickt.

„Den 18-Jährigen kenne ich schon, seit er neun war.“ Er war seiner Mutter früh weggenommen worden, wuchs auf im Chaos. „Er hatte von klein auf nie eine Chance“, sagt Wierich. „Trotzdem muss ich jetzt die Bürger vor ihm schützen.“ Beide Täter sollen in Untersuchungshaft.

Thorsten Schmieder und Joachim Manthel machen sich auf den Weg zur Gefährderansprache. In einem bronzefarbenen Renault, der auf der Straße kaum auffällt. Beide tragen lockere Hemden, Jeans — Pfefferspray, Handschellen und Waffe sind versteckt in einer einfachen schwarzen Bauchtasche.

Es geht nach Flingern. „Wenn wir uns das nächste Mal sehen, bist du tot“, soll die 14-Jährige auf die Facebook-Seite einer Mitschülerin geschrieben haben. Die beiden Polizisten vom neunköpfigen Einsatztrupp sollen ihr „einen Schuss vor den Bug“ versetzen, erklärt Schmieder. Doch auf das Klingeln der Kommissare öffnet niemand die Tür. „Dann fahren wir ein paar Brennpunkte ab und kommen später wieder“, sagt der 36-Jährige.

Im Stadtwerkepark an der Kettwiger Straße ist trotz des schönen Wetters noch nicht viel los. Keine Spur von Simon Ritz. Am Lessingplatz allerdings wecken drei Jungen am Schachtisch das Interesse der Polizisten. „Ist das Tamer?“, fragt Thorsten Schmieder.

Joachim Manthel schaut durch ein Fernglas aus dem Autofenster. „Hm, 95 Prozent.“ Schmieder: „Gehen wir von zwei Seiten ran?“ Er steigt aus und läuft um den Platz herum. Dann nähern sich beide Polizisten dem Tisch.

Die drei Jungen müssen ihre Ausweise herzeigen, die Taschen leeren. Die Seriennummern ihrer Handys werden überprüft. „Haben wir was gemacht?“, fragt Tamer schelmisch. Die Beamten beachten ihn gar nicht. Bestimmt, würde sonst vielleicht ihre Antwort lauten.

Tamer ist 16, Intensivtäter. Raub, gefährliche Körperverletzung, Diebstahl — er und sein 19-jähriger Bruder machen dem Einsatztrupp viel Arbeit. „Beide sind ohne die Eltern aus Ägypten geflüchtet“, erklärt Thorsten Schmieder später im Auto. Tamer hat lange im Heim gelebt, jetzt ist er in einer betreuten Wohngruppe.

Soll die Schule beenden. An seinem Umgang indes hat sich nicht viel geändert: Seine beiden Begleiter haben Einträge in ihren Akten wegen Raubes, Drogendelikten, räuberischer Erpressung, Diebstahl aus Autos.

Die Kontrollen sind wichtig für die Jugendsachbearbeiter im Kommissariat. „Wir wollen wissen, wer mit wem wo rumhängt“, sagt Thorsten Schmieder. Denn offenbar ziehen junge Straftäter andere junge Straftäter an.

„Wir hatten schon Intensivtäter aus dem Düsseldorfer Süden, die mit Intensivtätern aus dem Norden zusammenhockten.“ Man kannte sich aus einer Maßnahme für Schulversager — und verabredete sich sicher nicht nur zum Kaffeetrinken oder Fußballspielen.

Treffpunkt für Treffpunkt klappern die Kommissare ab. Scannen junge Männer auf den blonden Schopf von Simon Ritz. Klingeln bei seinem Bruder, kontrollieren ein paar Jungen in Garath. Als Joachim Manthel ohnehin gerade Richtung Benrath fährt, knackt das Funkgerät. Ein Einsatz.

Schlägerei an der Heubestraße in Benrath. Mindestens zehn Jugendliche. Thorsten Schmieder holt das Blaulicht aus der Mittelkonsole und steckt es aufs Dach. Mit hohem Tempo geht es Richtung Fußgängerzone.

Eine Streife ist schon dort und spricht mit einem betrunkenen Jungen im roten Shirt sowie einem anderen — nicht ganz so betrunken —, dessen graues Muskelshirt zerrissen ist. Einer der Beamten kommt auf Schmieder und Manthel zu. „Angeblich haben sie sich zum Spaß gerauft.

Aber eine Gruppe Jugendlicher soll durch den Schlosspark geflohen sein.“ Manthel kneift die Augen zusammen: „Das ist einer der Meyers, oder?“ Schmieder folgt seinem Blick zu dem Jungen in Rot. „Ich glaube auch. Jerome.“

Am Rand stehen prompt ein paar der Jungs, welche die Zivilpolizisten zuvor in Garath überprüft hatten — und die eigentlich vorgegeben hatten, am Rheinufer grillen zu wollen. Alle hatten mehr oder minder volle Polizeiakten — natürlich. Nicht das letzte Wiedersehen mit bekannten Gesichtern an diesem Nachmittag.

„So, probieren wir es nochmal mit der Gefährderansprache.“ Thorsten Schmieder steigt ins Auto — die Schlägerei lässt sich nicht aufklären. Doch kurz vor der Auffahrt zur Münchener Straße knackt der Funk erneut.

An der Telleringstraße sollen Jugendliche randalieren. Wieder gibt Joachim Manthel Vollgas. Ein aufgeregter Anwohner berichtet von einem Jungen im roten Shirt und einem im Muskelshirt. Die Polizisten schauen sich nur kurz an — sicher kein Zufall.

Dann trennen sie sich: Thorsten Schmieder nähert sich zu Fuß dem Benrather S-Bahnhof, Joachim Manthel fährt mit dem Auto vor. Über ein Freisprech-Set sind die beiden verbunden. „Schau mal die Gruppe vor dem Eingang. Das ist doch auch ein Meyer oder?“, fragt Manthel. „Klar, das ist Karl Dustin“, kommt die Antwort. Eine kurze Pause. „Und sieh mal, wer da hinten kommt . . .“

Um die Ecke kommen der immer noch betrunkene Jerome und sein Cousin — in einem neuen Muskelshirt. Sie gesellen sich zu der Gruppe. Langsam nähert sich Thorsten Schmieder, will unauffällig vorbeigehen und die Gesichter mit seinem Straftäter-Gedächtnis abgleichen. Doch Jerome ist geladen.

Er springt auf den Zivilbeamten los, den er bloß für irgendeinen Passanten hält. „Wat is?!“, brüllt er laut und droht mit der Faust. Die hat Thorsten Schmieder schnell gepackt, dreht dem aggressiven Jugendlichen den Arm auf den Rücken und bringt ihn zu Boden. Die anderen schreien. „Polizei!“, schreit Schmieder zurück und zieht den Ausweis aus seinem Hemd.

Die Jungen weichen sofort ein Stück zurück. Für Sekunden. Dann haben sie ihre Coolness wiedergefunden. „Du bist so blöd. Machst einen Polizisten an!“ Karl Dustin (19), selbst polizeibekannt, schimpft mit seinem am Boden zappelnden Bruder. „Jetzt chill, dann bist du in drei Stunden raus. Wenn du Faxen machst, behalten sie dich über Nacht drin.“ Man kennt sich aus mit dem Polizeigewahrsam.

Plötzlich kommt ein 18-Jähriger in rotem Trainingsanzug dazu. „Was ist hier los?“ Karl Dustin macht eine abwehrende Geste: „Bleib weg, Ronny, du bist doch gerade erst wieder draußen.“

Später wird Thorsten Schmieder im Computer der Wache sehen, dass Ronny — den er natürlich seit Jahren kennt — 24 Mal seit 2009 einer Straftat beschuldigt wurde. Im vergangenen Sommer fuhr er ein, weil er jemandem ein Messer in den Rücken gerammt hatte.

Es ist lange dunkel, als Jerome in seiner Zelle sitzt und Thorsten Schmieder und Joachim Manthel ihren Bericht schreiben. Eigentlich wollten sie heute früher Schluss machen und Überstunden abbauen.

Eigentlich wollten sie ja auch nur eine 14-Jährige verwarnen. Und eigentlich ist laut Statistik die Zahl der Intensivtäter in Düsseldorf rückläufig. Nach einem solchen Tag mag man es kaum glauben. Simon Ritz wird eine Woche später gefasst — vom Einsatztrupp Jugend. Er sitzt jetzt in Untersuchungshaft.

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