Professor Matthias Franz: „Ein Mann zu sein, ist gefährlich“

Interview: Namhafte Wissenschaftler treffen sich in der Heine-Uni zum Männerkongress – das scheinbar starke Geschlecht ist in Not.

Düsseldorf. "Neue Männer - muss das sein?" Unter dieser Überschrift steht der Männerkongress 2010 zu dem sich am 19./20. Februar, namhafte Wissenschaftler im Hörsaal 3D der Heine-Uni treffen. Verhaltensforscher, Soziologen, Psychosomatiker, Psychotherapeuten und Philosophen beschäftigen sich in Vorträgen und Arbeitsgruppen mit dem Wandel des Männerbilds in der Gesellschaft. Organisiert wird der Kongress von Prof. Dr. Matthias Franz vom Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Heine-Universität.

Herr Professor Franz, Sie organisieren einen Männerkongress, warum machen Sie das?

Matthias Franz: Wir merken als Ärzte und Psychotherapeuten schon seit vielen Jahren, wie schwer es Männern fällt, Hilfe zu suchen. Das liegt allerdings nicht daran, dass sie gesünder sind, sondern daran, dass es mit der männlichen Rolle offensichtlich schwerer vereinbar ist als mit der weiblichen, sich rechtzeitig darum zu bemühen. Das betrifft die körperlichen Krankheiten, die richtig Lebenszeit kosten, aber durchaus auch einige psychische Störungen. Hinzu kommt eine dreifach erhöhte Suizidrate bei Männern. Neben den gesundheitlichen Aspekten geht es uns beim Kongress aber auch um die zunehmende Bildungsnot. Wir sehen durchaus schwierige Bildungs- und Ausbildungsverläufe bei Jungen und jungen Männern. Hier zeichnen sich auffällige Defizite ab. Der dritte Schwerpunkt ist die Frage nach der Identität: Wann ist der Mann ein Mann?

Wie hat man als Mann zu sein?

Franz: Das Spektrum und die Verunsicherung sind riesig. Sie haben einerseits das Ideal des liebevollen, neuen Vaters oder das des kameradschaftlichen und partnerschaftlichen Mannes in der Beziehung, mit hoher sozialer Kompetenz. Auf der anderen Seite haben sie immer noch den Kämpfer - etwa einem Soldaten in Afghanistan, der mit eisernem Herzen Feinde tötet oder auch stirbt. Und Sie haben die Entwertung des Männlichen in öffentlichen Räumen. Viele Jungen und auch viele junge Männer sind mit diesem Spektrum stark überfordert. Außerdem ist die männliche Identitätsfindung wegen der komplizierteren frühkindlichen Entwicklung oft schwieriger als beim Mädchen.

Ich bin ein Mann - Sie machen mir Angst.

Franz: Im Prinzip ist Ihre Angst gut - sie ist ein ganz wichtiges Überlebensgefühl. Sie müssen Ihre Angst Ernst nehmen und sich rechtzeitig um Hilfe bemühen, wenn Sie körperliche oder seelische Beschwerden verspüren. Viele Männer machen genau das aber nicht - aus Furcht vor Abhängigkeiten beispielsweise. Sie können und sollten sich auch Gedanken über Ihre soziale Einbindung machen. Versuchen Sie auf Ihre Gefühle zu achten. Sie haben schließlich eine Frühwarnfunktion. Leider sind wir Männer da - das muss man leider sagen - etwas fehlsozialisiert.

Wenn ich als Mann Hilfe fordere, wird mir nicht automatisch meine Männlichkeit abgesprochen?

Franz: Das ist ein vorschneller Schluss - es gibt auch eine durchaus sehr männliche Art, mit Gefühlen umzugehen. Männer haben auch ihre Art zu weinen, ohne dabei weiblich zu werden - siehe Bundespräsident Horst Köhler bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Dominik Brunner (Brunner wurde von zwei Jugendlichen in München totgeprügelt, als er in der S-Bahn einer Gruppe Kinder helfen wollte; Anm. d. Red.). Das war sehr berührend, ohne unmännlich zu wirken.

Aber Männer weinen doch nicht!

Franz: Als Mann können sie sich umorientieren und lernen, mit Ihren Gefühlen umzugehen. Das Problem ist ja, dass so was eigentlich von Kind an gelernt werden muss. Viele Jungen kommen dabei heute aber zu kurz. Stichwort ist das Erziehungsmatriarchat in den Kitas und Grundschulen. Die spezifischen Entwicklungsbedürfnisse von Jungen werden heute nicht ausreichend wahrgenommen. Und in vielen Familien fehlen die Väter als Vorbild. Das kann dazu führen, dass Jungen aus Angst vor Verweiblichung den männlichen Zugang zu ihren Gefühlen nicht finden.

Sind wir Opfer des Matriarchats?

Franz: Ganz so einfach ist es nicht, schließlich haben wir immer noch eine patriarchale Funktionselite. Aber in den ersten Lebensjahren bieten wir kleinen Jungen eine Erziehungswelt an, die in der Tat weiblich dominiert ist. Entweder gehen sie als Folge in eine weibliche Anpassung - was sie möglicherweise später als Partner nicht sehr interessant macht oder flüchten sich in eine machomäßige Überkompensierung ihrer Ängste um ihre kleine Männlichkeit. Auch das ist nicht schön für alle Beteiligten.

Wir wissen beispielsweise, dass hyperaktive Jungen häufiger aus Familien kommen, in denen der Vater fehlt. Jungen profitieren von Familien, die über einen emotional präsenten Vater verfügen. Insofern sind kleine Jungen Opfer einer Erziehung, die nicht gendergerecht, nicht geschlechtsspezifisch ist. Wenn wir als Erwachsene diese Defizite erkennen, haben wir zwei Möglichkeiten.

Welche sind das?

Franz: Entweder wir ignorieren, verdrängen und machen weiter wie bisher - notfalls auch bis zum bitteren Ende. Ein aktuelles Beispiel ist da die Selbsttötung von Nationaltorwart Robert Enke im vorigen November. Wir schreiten voran mit der Metallisierung unseres Körpers und der Galvanisierung unserer Gefühle.

Oder aber wir trauen uns hinzufühlen, hinzuspüren und setzen uns mit unseren Gefühlen der Angst oder Abhängigkeit auseinander. Das erfordert aber auch, dass wir lernen, gegen die Anforderungen und Tabus unserer Männerrolle zu verstoßen. Der Umgang mit Gefühlen ist auch für Männer eine Schlüsselkompetenz für ein gesundes und zufriedenes Leben.

Konkret: Wie lerne ich, mit meinen Gefühlen umzugehen?

Franz: Herkömmlicherweise, indem ich mich in intensive, gute Beziehungen hinein begebe, etwa zu Freunden, Lebenspartnern aber auch zu Kindern. Überall dort, wo zwischenmenschliche Beziehungen entstehen, da kann man auch emotional lernen. Wir brauchen lebendige Beziehungen zu lebendigen Menschen von klein an. Professionell geschieht dies zum Beispiel auch in Psychotherapien und besonders intensiv in der Psychoanalyse.

Stellen Sie auf dem Kongress auch politische Forderungen?

Franz: Es gibt in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern keine strategisch aufgestellte Politik für Männer. Dem Bundesfamilienministerium BMFSFJ, das per Definition explizit für Frauen zuständig ist, fehlt das "M" für Männer vollständig. Es wird zu wenig für die gesundheitlichen Bedürfnisse der Männer getan. Beispiel: Mit Millionen Euro wurde ein Präventionsprogramm für die Brustkrebsvorsorge bei Frauen initiiert, für Männer gibt es etwa bei Prostatakrebs keine vergleichbaren Screenings.

Es wird noch nicht einmal breit diskutiert, ob es eine genauso massive Forschung mit diesem Ziel geben soll. Im Übrigen gibt es auch keinen Männerarzt. Familien- und Gesundheitspolitik muss endlich auch Männerpolitik werden. Diese Forderungen richten sich im Übrigen nicht gegen Frauen sondern dienen der Geschlechtergerechtigkeit im Sinne einer wechselseitigen Wertschätzung von Männern und Frauen.

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