Weihnachten im Knast Pater Sieffert: „Feiertage sind im Gefängnis besonders unbeliebt“

Weihnachten im Knast — was das für die Gefangenen bedeutet, erklärt Pater und Seelsorger Wolfgang Sieffert.

Weihnachten im Knast: Pater Sieffert: „Feiertage sind im Gefängnis besonders unbeliebt“
Foto: Melanie Zanin

Düsseldorf. Pater Wolfgang Sieffert ist Dominikaner und Gefängnisseelsorger. Seitdem er 1981 ein Praktikum in einer JVA gemacht hat, engagiert sich der Düsseldorfer für Gefangene. Seit 1990 ist er Seelsorger in der JVA Düsseldorf und zudem seit 1996 Geschäftsführer des Katholischen Gefängnisvereins Düsseldorf. Außerdem ist er Herausgeber des Gefangenenmagazins „Ulmer Echo“.

Weihnachten im Knast: Pater Sieffert: „Feiertage sind im Gefängnis besonders unbeliebt“
Foto: Fries

Herr Sieffert, wie feiern Gefangene hier in Düsseldorf Weihnachten?

Sieffert: Wenn ich über Gefangene und Weihnachten nachdenke, dann ist die erste Frage, ob der Begriff „feiern“ angemessen ist. Wochenenden und Feiertage sind im Gefängnis besonders unbeliebt, weil dann besonders wenig passiert. Von daher lösen die Feiertage generell Befürchtungen aus. Dann ist für viele Weihnachten sehr sentimental aufgeladen. Nichts passiert, aber im Kopf läuft das Kino ab.

Es gibt von Ihnen und der Kirche eine ganze Reihe von Aktionen während der Weihnachtszeit. Welche?

Sieffert: Wir versuchen, den Grundgedanken des christliche Weihnachtsfests allen Gefangenen zugute kommen zulassen. Weihnachten ist ein Appell, dass wenn Gott sich uns schenkt, wir auch füreinander da sein müssen. Uns helfen die Gemeinden in Düsseldorf und Umgebung. Von dort bekommen wir Plätzchen, Schokolade und Kalender — schön verpackt. Die überreichen wir den Gefangenen. Am 24. bekommen dann zusätzlich alle Gefangenen von uns eine kleinere Tüte mit einem Weihnachtsgruß, Kerze, Kugelschreiber, Kalender sowie ein bisschen Tabak.

Was wird von den Gefangenen gut angenommen?

Sieffert: Wir geben Gottesdienste, die sehr gut besucht sind, weil man dadurch aus der Hütte kommen kann. Viele haben auch wirklich ein Bedürfnis nach einem Gottesdienst. Der Knast ist natürlich ein sehr internationales Unternehmen, wir haben im Kirchenchor bis zu 15 Nationen. Also werden auch Weihnachtslieder aus anderen Regionen gesungen. Was unser Kirchenchor mit seiner Leiterin leistet, die seit 32 Jahren mehrfach die Woche im Knast ist, wird wirklich gut aufgenommen. Obwohl bis zu 200 Leute kommen, machen wir noch ein weiteres Angebot für alle Inhaftierten: In jedem Hafthaus gibt es eine Stehparty. Da kann jeder ins Begegnungszentrum kommen, es gibt Kuchen und Bohnenkaffee. Das ist ein bisschen wie an einem Wintertag in der Altstadt.

Es sind alle Religionen vertreten, obwohl Weihnachten ein christliches Fest ist?

Sieffert: Bei uns kriegt jeder Gefangene das Gleiche (lacht) — egal, welche Religion. Ich glaube auch, dass das eigentlich der Grundgedanke ist, mit dem Gott Mensch geworden ist. Der hat auch nicht gedacht: Ach wollen wir mal ein paar ganz Besondere beschenken. Das gehört für uns einfach zum Charakter des Festes hinzu. Ob das dann jemand für sich religiös interpretiert ist eine zweite Geschichte. Sollte er da Fragen haben, stehen wir natürlich zum Gespräch zur Verfügung und er kann dann auch in die Gottesdienste kommen. Wir sind als Seelsorger auch an den Feiertagen da.

Viele verbinden Weihnachten vor allem mit dem Treffen von Familie und Freunden. Können die an den Weihnachtstagen häufiger ins Gefängnis kommen?

Sieffert: Die Kontaktmöglichkeiten sind in deutschen Gefängnissen erschreckend gering. Und es gibt im Dezember nicht mehr Besuch als in anderen Monaten. Die Gefangenen haben das Recht auf zwei Stunden Besuch. Nur bei Gefangenen mit Kindern unter 18 Jahren dürfen die Kinder mit Begleitung zusätzlich kommen. Ansonsten ist zwei Stunden der Deckel und dann 20 Minuten im Monat telefonieren. Der Dezember ist auch da ein schwieriger Monat, weil durch die Feiertage Besuchstage ausfallen, alles ist enger und schwieriger zu organisieren.

Wie kommen die Aktionen bei den Mitarbeitern des Gefängnisses an?

Sieffert: Letztes Jahr ist ein kleines Fiasko passiert: An einem Tag wäre die Stehparty ausgefallen, weil von der Seelsorge niemand konnte. Dann hat der Aufsichtsdienstführende an dem Tag die Gefangenen geholt, die am Vortag mit vorbereitet haben und gesagt: Wir machen das trotzdem. Es gibt also auch Bedienstete, die bereit sind, sich in sowas rein zu hängen. Aber viele Bedienstete wissen natürlich auch, dass nur mehr angeboten werden kann, wenn auch mehr Bedienstete da sind. Sie machen sowieso schon Schicht-, Nacht- und Wochenenddienste. Da sind sie natürlich froh, wenn sie an Weihnachten mal bei der Familie sein können.

Ist es schwierig, Menschen zu bewegen, für Gefangene zu spenden?

Sieffert: Ich glaube, dass Menschen da sehr unterschiedlich sind. Zunächst einmal wird gesehen, dass jemand in Not ist. Aber dann wird auch geguckt, wer einem sympathisch oder unsympathisch ist. Bei Inhaftierten geht man in der Regel davon aus, dass sie das selbst schuld sind. Dass aber auch ein Bundesrichter sagt, er gehe davon aus, dass zehn bis 20 Prozent aller Gefangenen unschuldig sind, dringt nicht bis in alle Köpfe. Es gibt aber auch Menschen, die überzeugt sind, dass jeder eine neue Chance verdient hat und kein Mensch alleine gelassen werden darf. Das sind längst nicht nur Christen, das sind auch areligiöse Humanisten. Das hat einen hohen Wert für die Inhaftierten. Es gibt Gefangene, die haben im Sommer noch die Karte, die jemand anonym geschrieben hat, auf dem Tisch: ,Lieber Gefangener, ich wünsche dir, dass etwas vom Weihnachtsfrieden bei dir ankommt.’ Einer hat mir mal gesagt, dass das die einzige Post des Jahres war.

Was treibt Sie persönlich an?

Sieffert: Für mich heißt Dominikaner und Christ sein, dass ich mit offenen Augen durch die Welt laufen soll. Das heißt, wenn Menschen in einer Misere stecken, sollte ich die Bereitschaft haben, zur Verfügung zu stehen. Außerdem habe ich bei einem Praktikum im Knast gemerkt, dass ich da gut zurechtkomme.

Was müsste sich am Strafvollzug ändern, damit er menschlicher wäre?

Sieffert: Wir haben für 600 Inhaftierte keine Arbeit, keine Beschäftigung — nicht mal Fensterputzen. Sie hocken also mehr als zwei Drittel des Tages in ihrer Hütte und das finde ich einfach unmenschlich. Das kann dem Geist der Gesetze, die sagen, dass Menschen resozialisiert werden sollen, nur zuwiderlaufen. So werden Menschen kaputt gemacht. Es bräuchte viel mehr Kontaktmöglichkeiten. Die Telefon- und Besuchsmöglichkeiten in Deutschland sind auch im internationalen Vergleich katastrophal. Ein Inhaftierter hat fünf Kinder, die dürfen nicht einmal gleichzeitig kommen. Es sollten soziale Kontakte gestärkt werden, aber in Wirklichkeit werden sie geschwächt. Du brauchst Zeit mit deinen Kindern, sonst entfremdet man sich. Dafür müsste der Knast personell besser ausgestattet sein.

Also liegen die Gründe außerhalb des Gefängnisses?

Sieffert: Die Gründe liegen in der Politik. Wir brauchen mehr Geld für die Knäste, damit sie mehr Personal bekommen. Dann können wir auch mehr Inhaftierte arbeiten lassen. Das muss verwaltet, organisiert und beaufsichtig werden. Dann muss da jemand sein, der Ahnung hat, wie man eine Maschine bedient oder es braucht einen Lehrer in Schulkursen. Ich sehe das auch als eine Aufgabe von denen, die mit dem Vollzug in Berührung sind: Wir müssen in eine politische Verantwortung kommen und deutlich machen, dass hier eine sehr wichtige und sinnvolle Aufgabe ist, für die wir die Unterstützung brauchen. Ansonsten ist Resozialisierung ein Lippenbekenntnis, was bei der weit überwiegenden Zahl der Inhaftierten mit der Realität nichts zu tun hat.

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