Serie: Mit der WZ durch die Nacht Nachtschicht als Feuerwehrmann: Wenn der Gong ertönt, ist die Nacht vorbei

Feuerwehr und Rettungsdienst auf Wache 1 an der Hüttenstraße sind 24 Stunden im Dienst. Bereitschaft herrscht auch in der Nacht.

Düsseldorf. Es ist 23.40 Uhr und dunkel im Innenhof an der Hüttenstraße, als der Gong erklingt. Kurz darauf geht das Licht in der Garage des Rettungswagens an, fährt das Rolltor hoch. Benjamin Falk schaut auf seinen Pieper. „Hilo an der Bismarckstraße“, sagt er zu Feuerwehrmann Yanik van de Sand, der auf den Beifahrersitz klettert. Hilo. Hilflose Person. Van de Sand seufzt. Beide wissen, was das um diese Uhrzeit bedeutet. Der Motor startet, durchs Dachfenster flackert der blaue Lichtkegel ins Innere des Wagens. Mit Vollgas geht es raus auf die Straße. Der Beginn einer langen Nacht auf der Feuerwache 1.

Fast 134 000 Mal ist die Düsseldorfer Feuerwehr 2015 alarmiert worden. Allein rund 2700 Mal im Jahr rücken die Männer und Frauen vom Löschzug der Innenstadt-Wache an der Hüttenstraße aus, weitere 16 000 Mal der Rettungsdienst dort. In 24-Stunden-Schichten wird gearbeitet. Von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr morgens. 22 Menschen sind immer im Dienst. Frühstück und Mittagessen werden reihum gemeinsam zubereitet, am Nachmittag gibt es Dienstsport, bis 18.30 Uhr. „Danach ist nur noch Bereitschaftsdienst“, erklärt Wachvorsteher Michael Sandforth. Die Retter können tun, was sie wollen, müssen aber auf der Wache bleiben. „Dann warten sie auf die Einsätze.“

An diesem Abend sitzen die Männer in Blau und zwei in Weiß um den großen runden Tisch im zweiten Stock des alten Backsteinbaus herum. Auf dem Fernseher läuft gerade Dressurreiten. Nur Zufall! Ab und zu steht einer auf, schlendert auf den Flur zu einem Aktenschrank mit Schokoriegeln, Gummibärchentüten, Nusspäckchen und kleinen handgeschriebenen Preisschildern. Die „Kantine“. „Ein paar Kollegen haben den Job übernommen, sie immer aufzufüllen“, erklärt Sandforth. Am Ende des Flures steht ein Kickertisch, gegenüber ist die Tür zur „Dialyse“, wo die müden Wehrmänner vor einem Flachbildschirm auf schwarzen Ledersesseln mit Fußbank ruhen.

Der Gong ertönt und eine Lautsprecherstimme knarzt etwas von „Zimmerbrand mit Menschenrettung“ und „Derendorf“. Michael Sandforth ist mit großen Schritten schon fast an der Tür zum Treppenhaus. Eine Rutschstange gibt es in der Wache nicht mehr — sie fiel dem Brandschutz zum Opfer. Der Einsatzleiter hastet die Treppen hinunter, wirft sich in der Wagenhalle die Jacke über und schwingt sich auf den Beifahrersitz des ersten Einsatzfahrzeugs. Das Blaulicht ist schon an, als es erneut im Funk knackt. Entwarnung. Der Mieter hat den ersten Einsatzkräften schon die Tür geöffnet; bei ihm war nur Essen angebrannt. Sandforth lacht kurz und steigt wieder aus. Doch noch Zeit für einen späten Kaffee.

Es geht auf 21.30 Uhr zu. Durch den Hof der Wache scheint noch Licht herüber. Es kommt aus dem Sportraum. Dort radelt einsam Tobias Stöber vor sich hin. Um 23 Uhr wird seine „Sitzzeit“ am Notruf in der Leitstelle anfangen. „Den Rhythmus habe ich für mich gefunden“, erklärt er. „Ich mache vorher Sport, um den Kreislauf schön hochzufahren.“ Vier Stunden vor den großen Bildschirmen bis zur nächsten Ablösung um 3 Uhr können mitunter lang werden.

Während der Rettungsdienst zu einem Unfall mit Verletzten an der Kruppstraße ausrücken muss, gehen im Hauptgebäude der Wache, wo auf der ersten Etage die Löschzugbesatzung ihre Ruheräume hat, allmählich die Lichter aus. Andreas Katzwinkel richtet sein Nachtlager ein. Frische Laken auf einem der hellen Holzbetten, Marke Eigenbau. Die Wände ringsum sind nackt, eine mediterrane Landschaft im Rahmen lehnt an einem der anderen beiden Betten. Auf der Fensterbank steht eine schiefe Palme. Zumindest sein kleines Kissen mit einem Foto von Tochter Emma hat der Feuerwehrmann wie immer dabei. Auf dem Löschzug, erklärt Michael Sandforth, hat man durchaus mal die Chance auf etwas Schlaf. Im Rettungsdienst — alle Feuerwehrleute der Düsseldorfer Wehr sind auch ausgebildete Rettungsassistenten — eher weniger.

23.40 Uhr. „Hilo“ an der Bismarckstraße. Mit Benjamin Falk und Yanik van de Sand durch die Nacht. Blaulicht, nur vor den großen Kreuzungen schaltet Falk das Martinshorn ein — sonst hagelt es morgen wieder Beschwerden. Der Wagen stoppt, die Schiebetür hinten geht auf, die beiden Feuerwehrmänner in Weiß ziehen sich Plastikhandschuhe an. Dann beugt sich Falk über den bärtigen Mann am Boden vor einer Kneipe. „Ach, wir kennen uns ja. Dich habe ich heute doch schon mal gefahren!“ Der völlig betrunkene Mann knurrt nur kurz. Falk wendet sich an seinen Kollegen: „Dass ist der, den wir aus ’nem Zug geholt und ins EVK gebracht haben.“ Dort hat er seinen Rausch dann offenbar so weit auskuriert, dass er weiter zechen konnte. Als die beiden Männer ihn unter den Armen packen, hochhieven und Richtung RTW bringen wollen, fährt die Wirtin dazwischen: Der vor der Tür zusammengebrochene Gast schulde ihr noch 16 Euro. „Das muss die Polizei klären — wir sicher nicht!“, stellt Falk klar. Die Frau winkt ab: „Tja, abhaken. Nehmen Sie ihn einfach nur mit.“ Das tun die beiden. Auf dem Weg murmelt der Mann zwischen ihnen: „Einfach mitnehmen, sagt sie. Als wär’ ich ein Köter. . .“

Mit einiger Mühe bugsieren die Rettungsassistenten ihn in den Sitz des RTW. Während van de Sand Blutzucker und Blutdruck misst, schwingt sich Falk auf den Fahrersitz. Der Funk knackt. „RTW 1 kommen!“ Er antwortet: „Der hat aufgenommen und fährt nach fünf.“ Ins Marien-Hospital. Dort steht die Krankenschwester aus der Notaufnahme gerade mit einem Kollegen bei einer Zigarette vor der Tür. Die burschikose Frau hat den Betrunkenen rasch in einen Rollstuhl verfrachtet und ins Gebäude gerollt. „Schuldigung, kannsch mich hier irngwo ’n bischen lang machen?“, fragt der und blinzelt sie an. „Na klar mach’ ich dich lang“, sagt sie und klappt kurzerhand die Lehne des Stuhls nach hinten. „Sobald er laufen kann, ist er weg“, sagt Benjamin Falk. „Vielleicht fahren wir ihn heute Nacht wieder. . .“

Die Feuerwehrmänner fahren weiter zum nächsten Hilo-Einsatz — diesmal Stoffeler Straße. Dann geht es für die beiden wenigstens kurz ins Bett. Beim nächsten Gong hasten Sven Kuberski und Mathias Voßkämper vom Roten Kreuz in die RTW-Halle. Es ist 1.48 Uhr, am Bahnhof soll ein Mädchen mit aufgeschlitzten Armen hocken. Doch als der Rettungswagen dort eintrifft, ist die Jugendliche schon mit ihren Freunden abgehauen. Die Rettungsdienstler fahren die Straßen rings um den Bahnhof noch ab — doch das Mädchen bleibt verschwunden, die Polizei muss übernehmen.

Um 2.40 Uhr werden sie dann über einen Hausnotfallknopf der Johanniter nach Bilk gerufen. Ein völlig aufgelöster junger Mann steht in der Tür des kleinen Wohnhauses. „Meine Oma hat versucht, Treppen zu steigen“, sagt er. Von den Folgen zeugt eine Blutlache am Fuße der Steinstufen. Die schwer demente 90-Jährige hockt auf ihrem Bett im Erdgeschoss, Platzwunden an Hinterkopf und Arm und sichtlich verwirrt. Sie hatte großes Glück, dass sie keine Brüche davongetragen hat.

Tapfer lässt sich die alte Frau von den beiden Rettungsdienstmitarbeitern bis hinaus in den Rettungswagen begleiten. Kuberski legt einen Verbandskoffer vor die erste Stufe des RTW, um ihr den Einstieg zu erleichtern. Mit weit aufgerissenen Augen folgt die 90-Jährige den Anweisungen der beiden DRK-Männer. Erst als sie sitzt, der Wagen fährt und die Blutdruckmanschette sich um ihren dünnen Arm zusammenzieht, wird es ihr zu viel: „Das tut weh. Aufhören. Hilfe“, murmelt sie mit brüchiger Stimme immer wieder. In der Uni-Klinik wird man sich um sie kümmern.

Zwischen 3.50 Uhr und kurz vor fünf bleibt es tatsächlich still und dunkel auf der Wache. Dann schrillt der Pieper für Notärztin Juliane Hamm. Rettungsassistent Markus Becker bringt sie mit 120 km/h über die Rheinkniebrücke zu einer Frau an der Luegeallee, die sich mit krampfartigen Rückenschmerzen im Bett windet. Der Rettungsdienst ist schon da, mit vereinten Kräften geht es für die Patientin auf eine Trage, durch den Hausflur nach unten und dann ins Dominikus-Krankenhaus. Hamm schickt die Daten der Frau schon während der Fahrt per Fax voraus in die Klinik.

Als das Einsatzfahrzeug kurz vor 6 Uhr über den Rhein zurück Richtung Wache rollt, ist es schon fast ganz hell. Markus Becker setzt das Auto gerade rückwärts in die Garage, als aus dem Wachgebäude der Gong zum Wecken ertönt. Kurz darauf schlurfen Feuerwehrmänner mit Kaffeetassen zu einem langen Holztisch im Innenhof. Die gut ausgeruhte Löschzug-Besatzung — sie hat tatsächlich durchgeschlafen; eine Seltenheit— in Blau setzt sich rund um Benjamin Falk, der dunkle Ringe unter den wässrigen, müden Augen hat. „Na, wie war die Nacht?“, fragt einer schmunzelnd. „Joa. . .“, brummt Falk nur. Im Minutentakt fahren jetzt Autos auf den Wachhof — die Ablösung von der anderen Tour. Falks Pieper geht. Er lässt den Kopf sinken und fährt sich durchs Haar. Dann springt er auf. „Wo musste hin?“, ruft Becker. „Hauptbahnhof!“ Falk stapft Richtung RTW. Es ist halb sieben. Um 7 Uhr wird seine Schicht enden. Nach 24 Stunden. Und einer langen Nacht.

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