Nachhilfe am Sorgentelefon

Zeugnistag: Wer Angst hat, schlechte Noten zu Hause zu zeigen, sollte sich eine Begleitung mitnehmen, rät der Kinderschutzbund.

Düsseldorf. Der elfjährige Junge hat intuitiv das Richtige getan. Weil er sich mit seinem Zeugnis am Mittwoch nicht nach Hause traute, suchte er Hilfe bei seiner Großmutter, die allerdings auch keinen Rat wusste. Den bekam sie beim Zeugnistelefon des Kinderschutzbundes. Von 11 Uhr an war die Nummer, eine Sonderleistung des Kinder- und Jugendtelefons, geschaltet, und bis zum Nachmittag hatten sich bereits rund 60 Anrufer gemeldet. Darunter auch genannte Großmutter. "Sie befürchtete, dass der Vater den Jungen wegen der schlechten Noten zusammenbrüllen würde. Sie muss es wissen, er ist ihr Sohn", sagt Diana Goldermann-Wolf. Sie koordiniert das Kinder- und Jugendtelefon und ist stellvertretende Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes.

Es ist ungewöhnlich, dass Eltern oder gar Großeltern am Zeugnistag anrufen. Haupt-Klientel sind Kinder und Jugendliche. Eine Zwölfjährige sorgte sich wegen der Dreien auf ihrem Zeugnis. Dabei bereitete ihr nicht etwa die Reaktion der Eltern Kopfzerbrechen, sondern von sich selbst war sie enttäuscht, fühlte sich als Versagerin. Ein 17-jähriger suchte Rat, weil er sich mit drei Fünfen nicht nach Hause wagte.

Wenn die Angst so groß ist, dass der junge Anrufer trotz des Telefonats nicht in der Lage ist, die Situation zu meistern, raten die Mitarbeiter dazu, einen Verwandten oder Freund der Familie mitzunehmen, wenn er das Zeugnis zu Hause vorlegt.

"Aber es rufen an solch einem Tag auch Kinder an, die etwas ganz anderes beschäftigt", sagt Goldermann-Wolf. "Etwa, dass sie keine Lust haben, mit den Eltern in die Ferien zu fahren, weil ihnen der Urlaubsort nicht gefällt." Oder weil sie sich für die Ferienzeit von ihrem Partner, ihrer Partnerin trennen müssen.

Solche vergleichsweise banalen Beweggründe sind jedoch selten. "Wir spüren verstärkt, dass die Kinder unter Leistungsdruck stehen", sagt Goldermann-Wolf. Das zeige eine neue Entwicklung, die vor etwa eineinhalb Jahren eingesetzt habe. "Am Kinder- und Jugendtelefon werden zunehmend Fragen zu Hausarbeiten gestellt." Die Mitarbeiter sollen bei der Mathe-Aufgabe helfen, Fremdwörter erklären und englische Vokabeln übersetzen. "Das können unsere Leute natürlich nur beschränkt leisten", sagt Goldermann-Wolf. In ihren Augen ist dieser Trend ein Zeichen für die zunehmende Vereinsamung und Ratlosigkeit der Kinder.

"Es sind vor allem die Fünft- bis Achtklässler, die anrufen. Sie sitzen allein zu Hause, während ihre Eltern arbeiten und haben niemanden, den sie fragen können." Während die Grundschulen durch ihr Ganztagsangebot einen Ausgleich schafften, hätten die weiterführenden Schulen auf diesem Gebiet einen enormen Nachholbedarf.

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