Düsseldorf Nach zwei Monaten auf der Flucht endlich sicher

Ahmad Hasan hat elf Familienmitglieder verloren — er ist der Cousin des Jungen, der in der Türkei tot an den Strand gespült wurde.

Düsseldorf: Nach zwei Monaten auf der Flucht endlich sicher
Foto: Uwe Schaffmeister

Düsseldorf. Endlich in Sicherheit. Unfassbar, wie viel Leid Ahmad Hasan mit seinen 16 Jahren schon erleben musste: Beim Angriff des so genannten Islamischen Staates auf Kobane in Syrien wurden elf Familienmitglieder getötet. Kaum in Deutschland angekommen, sieht er vorigen Freitag im Internet die Bilder seines dreijährigen Cousin Aylan. Die Leiche wurde nahe Bodrum in der Türkei an den Strand gespült. Es ist das Foto, das weltweit für Diskussionen sorgt. Doch nicht nur Aylan stirbt an diesem Tag, auch dessen Bruder Galip (5) und Tante Rehan (35) kommen ums Leben, als das Boot im Mittelmeer kentert, mit dem sie in die Türkei fliehen wollten. Ahmad: „Nur unser Onkel Abdullah Kurdi überlebte das Unglück.“

Den 25. Juni wird Ahmad nie vergessen. Der IS kam zurück nach Kobane und tötete Opa, Oma und viele Verwandte. An diesem Tag treffen er und sein Onkel die Entscheidung, Syrien zu verlassen. Und an diesem Tag sieht er auch seinen Cousin Aylan das letzte Mal. Ahmads Eltern bleiben in Kobane: Das Geld für die Flucht reicht nur für einen. „Aylans Vater Abdullah wollte mit der Familie zu seiner Schwester nach Kanada, ich wollte nach Deutschland. Die Flucht mit dem LKW kostet 1800 Euro, die über das Wasser aber nur 1000 Euro pro Person“, sagt Ahmad. Abdullahs Familie wählte das Wasser.

Ahmads Flucht über den Landweg dauerte zwei Monate. Inzwischen ist er in der Nähe von Düsseldorf bei der Kurdin Leyla Bilge und ihrem Sohn Deniz (16) angekommen; sie hat ihn am Freitag am Düsseldorfer Hauptbahnhof in Empfang genommen. Über private Kontakte hat sie von dem schweren Schicksal des Jungen erfahren. Sie kümmert sich mit ihrem Verein Leyla e.V. schon lange um Flüchtlinge, die vor dem IS-Terror geflohen sind und war schon viele Male im Irak. In Deutschland wird sie nach Informationen des Express deshalb von Islamisten bedroht.

„Als er bei mir ankam, hat er schon fast zwei Monate die selben Klamotten angehabt“, sagt Leyla, „ich hab ihn erstmal neu eingekleidet und inzwischen auch beim Jugendamt die Vormundschaft beantragt.“ Ahmad sei völlig traumatisiert. „Er muss zu einem Psychologen, er redet kaum über die Flucht und seine tote Familie. Er fragt nicht nach Essen und traut sich nicht in die Küche. Er ist verängstigt und will niemandem zur Last fallen.“

Am Wochenende hat sich der 16-Jährige das erste Mal rasiert. „Eigentlich muss das sein Vater machen, aber ich habe alles fotografiert und die Bilder zu seinen Eltern geschickt, denen zum Glück bisher nichts passiert ist. Sie sind total stolz.“ Ahmad lernt täglich zwei Stunden Deutsch. „Ohne Bildung läuft hier nichts, das weiß er auch.“ Nach dem Gespräch verabschiedet er sich auf Deutsch mit: „Auf Wiedersehen!“

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