Analyse Mitgliedervotum zur GroKo: „Alle Staatsgewalt geht von den SPD-Mitgliedern aus“

Eine kleine Minderheit der Gesellschaft entscheidet über die Groko und über die weitere Politik. Ist das demokratisch? Eine Analyse von Peter Kurz.

 Ein Stimmzettel zum Mitgliedervotum der SPD zur Billigung der Großen Koalition 2013.

Ein Stimmzettel zum Mitgliedervotum der SPD zur Billigung der Großen Koalition 2013.

Foto: Maurizio Gambarini

Düsseldorf. „Alle Staatsgewalt geht von den Mitgliedern der SPD aus. Verdammt, wo liegt mein Grundgesetz…?“ So twittert Rainer Wendt. Der meinungsfreudige Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft spielt auf den Grundgesetz-Artikel 20 an, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Und bringt den Unmut auf den Punkt, den auch andere empfinden: dass die Frage, wer die Republik regieren wird, in die Hände einer kleinen Minderheit gelegt wird. Nämlich in die der SPD-Mitglieder, die darüber abstimmen, ob ihre Partei noch mal in die große Koalition mit der Union gehen soll.

Fast 47 Millionen Menschen hatten im September 2017 den Bundestag gewählt. Und nun sollen knapp 464 000 Leute mit SPD-Parteibuch entscheiden, wer uns regieren soll? Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, führt die Riege der Kritiker an: „Mitgliederentscheide über die Bildung der Bundesregierung, über das künftige Regierungsprogramm und die Gesetzgebung in der neuen Legislaturperiode hebeln stückweise die grundgesetzlichen Regeln des parlamentarischen Systems faktisch aus.“

Seine Ex-Kollegen hatten das freilich schon im Jahr 2013 ganz anders gesehen. Auch da gab es einen SPD-Mitgliederentscheid zum damaligen Koalitionsvertrag. Eine gegen das Mitgliedervotum gerichtete Beschwerde wies das Bundesverfassungsgericht zurück. Begründung: Mit Verfassungsbeschwerden könnten „nur Akte der öffentlichen Gewalt angegriffen werden“. Mit einer Abstimmung über einen Koalitionsvertrag unter ihren Mitgliedern übe die SPD aber gerade keine öffentliche Gewalt aus. Auch sei es den Parteien überlassen, wie sie ihren „parlamentarischen Willensbildungsprozess innerparteilich vorbereiten.“ Nicht anders entschieden die Richter auch jetzt. Und wiesen Beschwerden gegen das aktuell angesetzte Mitgliedervotum zurück.

Aber sind nicht doch die Rechte der von den Wählern frei gewählten Bundestagsabgeordneten eingeschränkt, wenn sie durch die Entscheidung der Mitglieder gebunden werden? Wenn sie keinen Spielraum mehr haben für ihre freie Gewissensentscheidung? Schließlich heißt es doch im SPD-Parteitagsbeschluss vom 21. Januar: „Unsere Basis entscheidet. Über die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen wird ein verbindliches Mitgliedervotum eingeholt.“

Damit hat sich allerdings nur der Parteivorstand dem Votum der Mitglieder unterworfen. Das Sagen haben am Ende die in den Bundestag gewählten SPD-Abgeordneten. Selbst wenn die SPD-Parteibasis Nein zur Groko sagt, können sie bei der Regierungsbildung mit Ja votieren. Und umgekehrt. Dabei stimmen sie formal zwar nicht über den Koalitionsvertrag ab, sondern über die Wahl der Bundeskanzlerin. Dies ist freilich indirekt ein Votum über den Koalitionsvertrag.

Bei dieser geheimen Wahl sind sie aber in ihrer Entscheidung frei und nicht an das Mitgliedervotum gebunden. Natürlich werden die SPD-Abgeordneten dabei abwägen, welche Konsequenzen ihre Entscheidung für ihre Partei hätte. Und für ihr eigenes Mandat, das bei Neuwahlen gefährdet wäre. Insofern dürfte faktisch das Mitgliedervotum schon einen großen Druck auf die Abgeordneten ausüben.

Aber wäre das so undemokratisch, wie es die Kritiker sagen: dass hier ein kleiner Teil der Gesellschaft über die Weichenstellung für die ganze Gesellschaft entscheidet? Blicken wir zur politischen Konkurrenz: da entscheiden allein die Parteigremien. Und damit viel weniger Köpfe als bei der SPD. Das einfache Unions-Parteivolk darf nur ein bisschen diskutieren (und viel grummeln).

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